Mittwoch, 6. Januar 2021

Übertreib nicht deine Rolle

Rina Sawayama - SawayamaRINA SAWAYAMA
SAWAYAMA
Dirty Hit
2020












[ großkotzig | catchy | nostalgisch ]

Es brauchte keineswegs noch eine offizielle Verifizierung meinerseits oder dieses Album von Rina Sawayama, um die allgemeine Tatsache aufzuzeigen, dass die frühen Zwotausender gerade wieder mächtig en vogue sind. Egal von welcher stilistischen Ausprägung und welcher individuellen Nische wir dabei sprechen, überall finden sich Indizien dafür, dass der berüchtigte Zwanzig-Jahre-Zyklus, der die Popkultur seit Dekaden heimsucht, weiterhin wohlauf und lebendig ist. Und auch ich muss zugeben, dass ich an einigen Stellen wieder Fan davon bin. Nostalgische Einflüsse gehörten zu den springenden Punkten, die die letzten Platten von so unterschiedlichen Leuten wie Poppy, Code Orange, Slayyyter oder Bring Me the Horizon so hörenswert machten und allein für die Rehabilitation von Britney Spears hat sich das ganze gelohnt. Dennoch finde ich, dass es einen Unterschied macht, ob man sich musikalisch ein paar Impulse aus den flüchtigen Trends einer vergangenen Phase des Pop zurückholt oder ob man einfach so tut, als wäre man im falschen Jahrzehnt geboren. Wobei letzteres das Hauptproblem ist, das ich seit jeher mit der künstlerischen Persönlichkeit Rina Sawayama habe. Bereits auf ihrer 2017 veröffentlichten EP Rina, wo ich die Britin zum ersten Mal hörte, fand ich ihre Musik und ihr allgemeines Image eigentlich gar nicht so verkehrt, störte ich mich jedoch immens an der völlig überflüssigen Retro-Schiene, die sie einem mit all ihrer Kunst aufzwang. Und auch auf diesem Debütalbum ist die Lage nicht groß anders. Sawayama ist eine ziemlich talentierte Songwriterin, die sich in ihrer Musik auch traut, verschiedene Stile und sehr gegensätzliche Ästhetiken zu kombinieren (siehe STFU! mit seinem dick aufgetragenen Groove Metal-Hauptriff). Schaut man aber mal hinter die bunte Nostalgie-Fassade und die bunten Destiny's Child-meets-Limp Bizkit-Hooks, gibt es eher wenig, was mich langfristig an diesem Album festhält. Und gerade auf textlicher Ebene war ich hiervon auch ziemlich ernüchtert. Zwar versucht Sawayama in Songs wie Chosen Family oder STFU! durchaus, stärkere Themen wie Rassismus, Familie und zwischenmenschliche Dämonen anzureißen, doch geschieht das meiner Meinung nach alles sehr oberflächlich und mit recht albernen Plattitüden, die so gut wie keinen Tiefgang haben. Was stattdessen richtig gut funktioniert sind eben Tracks wie XS oder Comme des Garçons, die über diesen plumpen Charakter gar nicht erst hinauswollen und einfach Hedonismus und Materialismus reproduzieren. An diesen Stellen bietet mir Sawayama alles, was ich von dieser LP verlange und ist eben nicht mehr als ein gut gemachtes Gimmick. Bei allem, was darüber hinaus geht, wird es meistens awkward. Weshalb ich auch finde, dass es sinnvoll ist, bei diesem Album ein bisschen die Kirche im Dorf zu lassen. Klar ist das hier auf den ersten Blick sehr spaßige Musik, die dazu noch gut geschrieben ist, doch am Ende auch nicht mehr als das. Es ist ein gutes, kommerzielles Pop-Album, das gut ohne inhaltlichen Mehrwert klarkommt und sogar am ehesten dann schliddert, wenn es versucht, diesen herzustellen. Das alles bedeutet nicht, dass Rina Sawayama beschränkt ist oder ich denke, dass sie größere Narrative nicht irgendwann hinbekommt, nur ist es auf diesem Erstling eben nicht der Fall. Und ich kann mir vorstellen, das hier noch ab und zu wegen der guten Hooks oder der erfrischenden Stil-Clashes zu hören, eine größere Nummer muss ich daraus aber auch nicht machen. Auch wenn das anscheinend gerade viele andere tun.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡⚫⚫⚫ 08/11

Persönliche Höhepunkte: XS | Comme des Garçons (Like the Boys) | Akasaka Sad | Paradisin' | Bad Friend

Nicht mein Fall: Fuck This World | Chosen Family

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