Samstag, 9. Januar 2021

Let It Be

Paul McCartney - McCartney III
PAUL MCCARTNEY
MCCARTNEY III
Capitol Records
2020










 
 
 
[ rohmassig | schräg | cringy ]

Um das hier gleich zu Anfang noch einmal in aller Deutlichkeit zu etablieren und auf die Gefahr hin, dass ich damit auf Unverständnis stoße: Ich war noch nie ein besonders großer Fan von Paul McCartney. Wenn ich ehrlich bin, empfinde ich ihn und seine Musik sogar extrem anstrengend und im wesentlichen als eine Bürde für ihn selbst. Schon in meiner letzten Besprechung zu einem seiner Alben habe ich diese Grundhaltung ziemlich detailliert ausgebreitet und begründet, doch ist meine Abneigung gegen ihn seitdem ehrlicherweise nur noch schlimmer geworden. Nicht nur, weil er es in seinem Alter und bei seinem Status absolut nicht nötig hat, sich mit windigen Popstars gut zu stellen und bei Tiktok zum Obst zu machen, sondern auch weil seine Musik anscheinend schon seit langem nicht mehr weiß, was sie eigentlich von sich selbst will. Noch immer bin ich kein wirklicher Experte, was seinen Output aus früheren Jahren angeht, doch ist das, was ich davon gehört habe schon seit der Trennung der Beatles meist katastrophal und seine kreative Durststrecke anscheinend weit länger als ich bisher befürchtet hatte. Eine Sache, die mir auch die Veröffentlichung seiner neuesten LP McCartney III wieder ins Gedächnis ruft. Denn wie geneigte Fans womöglich gemerkt haben, ist dieser unscheinbare Titel vor allem ein halbnostalgischer Throwback in Richtung zweier "klassischer" Platten des Songwriters und damit die Weiterführung eines Vermächtnisses, das so alt ist wie seine Solokarriere selbst. Die besagten Tonträger sind dabei zum einen das selbstbetitelte Debüt des Briten von 1970, mit dem sein zweites Solo-Leben nach dem Ende der Beatles begann, zum anderen das berühmt-berüchtigte McCartney II, das zehn Jahre später erschien und unter seinen Fans noch immer sehr kontrovers diskutiert wird. Als experimenteller Troll-Move und völlig enthemmte kreative Freakshow kann man letzterer Platte dabei durchaus zugestehen, eines der spannenderen Projekte des Songwriters zu sein und so manche*r namhafte Musiker*in scheint darin auch Inspiration gefunden zu haben (fragt zum Beispiel mal Ty Segall). Genauso verstehe ich aber auch viele, die das Ding für eine völlig verkorkste Schnapsidee halten und es inzwischen lange verdrängt haben. Nicht so anscheinend der Meister selbst, der 40 Jahre später tatsächlich versucht, eine Art Nachfolger dazu aufzunehmen. Wobei das Ergebnis ungefähr so geworden ist, wie ich von vornherein befürchtet hatte. McCartney verennt sich hier vollends. Dabei war ich anfangs zumindest theoretisch angetan davon, wie er hier nochmal vollumfänglich die Reset-Taste drückt: III ist ein sehr roh produziertes, ungeschminktes Stück Musik, das für seine Verhältnisse fast schon experimentell und garagig daherkommt. Über die wenigen Instrumente, die McCartney alle selbst spielt, sind kaum Filter gelegt, als Sänger hört man dem Briten seine fast 80 Lenze deutlich an und es gibt Passagen, die in gewisser Weise an Leute wie Ty Segall, Kurt Vile oder die letzte Platte von Angel Olsen erinnern. Zumindest vom Mindset her spürt man hier also die Verwandtschaft zum ideellen Vorgänger. Gut macht das die vorliegenden elf Tracks deshalb aber noch lange nicht. Viel eher bedeutet dieses Album einen neuen Tiefpunkt für den Songwriter, an dem wenig zu beschönigen ist. Denn statt den fehlenden Feinschliff wie auf McCartney II durch Exzentrik auszugleichen, ist das meiste hier einfach nur lahm. So gut wie allen Songs auf dieser LP fehlt der kompositorische Kern, der in der spärlichen Instrumentierung einfach nicht zu finden ist, noch dazu klingen fast alle Instrumente absolut grottig. Vom Niveau der Aufnahme her ist das hier nicht rüpelig-garagig wie bei Jack White, sondern dillettantisch und unbedarft wie bei einer Abiband. Mit dem feinen Unterschied, dass der Chef dahinter zufällig mal einer der Hauptsongwriter der Beatles war. Und es wird schlimmer. Was das Thema Texte angeht, war bei McCartney in meinen Augen schon lange vorher Hopfen und Malz verloren, doch findet er hier nochmal auf ein neues Level an Fremdscham-Potenzial. Gegenüber Zeilen wie "I don't care to be bad / I prefer to think twice / All I know is it's quite a show / But it's still alright to be nice" sind die eklig-notgeilen Creepy-Opa-Ergüsse von Egypt Station sowas wie echte Poesie und die Tatsache, dass McCartneys beste Tage als Sänger lange vorbei sind, macht das ganze nicht besser. Es gibt Songs wie Slidin' oder Find My Way, in denen der Horror mal kurz innehält, doch selbst diese sind künstlerisch bestenfalls durchwachsen. Einziger echter Lichtblick ist in meinen Augen die zweiminütige Akustikballade When Winter Comes ganz am Ende, die ich zumindest okay finde. Der Rest ist beim besten Willen einfach nur schauderhaft und ich möchte dringend davon abraten, sich das hier anzuhören. Wobei das vielleicht schlimmste ist: Es geht mir mit diesem Musiker wie gesagt nicht zum ersten Mal so. Alleine mit den zwei Besprechungen, die ich über seine Platten bis jetzt gemacht habe, hat Paul McCartney den historisch schlechtesten Schnitt in Sachen numerische Bewertungen auf diesem Format. Und einen Artikel mit diesem Score hatte ich hier ganz nebenbei schon seit 2018 nicht mehr. Dass wir dabei gleichzeitig von jemandem reden, der landläufig als einer der besten Songwriter aller Zeiten gilt, ist schon irgendwie paradox. Bei allem Unverständnis, das mir sein Solomaterial bereitet bin ja am Ende auch ich teilweise begeistert von seinen alten Beatles-Nummern, weshalb auch ich es bitter finde, wo dieser Künstler mit seinem Output inzwischen angekommen ist. Klar gibt es immer wieder peinliche Momente, wenn Rockstars älter werden und wenige bleiben davon verschont, doch trifft Paul McCartney diese Fettnäpfchen mittlerweile einfach mit einer bedauernswerten Präzision. Und spätestens hier ist er an einem Punkt, wo das keine Phase mehr ist, sondern gewissermaßen seine Identität und vielleicht ein Zeichen, dass man es nicht weiter versuchen sollte. Das zumindest würde ich mir wünschen, um diesem Menschen noch ein kleines bisschen Restwürde zuzugestehen. Denn ein übler Kerl scheint er ja echt nicht zu sein.

🔴 01/11

Persönliche Höhepunkte
Find My Way | Slidin' | Winter Bird / When Winter Comes

Nicht mein Fall
Long Tailed Winter Bird | Pretty Boys | Lavatory Lil | Deep Deep Feeling | Seize the Day | Deep Down

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