Freitag, 8. Januar 2021

Lianne lieben lernen

Lianne La Havas - Lianne La Havas LIANNE LAHAVAS
Lianne LaHavas
Warner Records
2020









 
 
 
[ soulig | modern | fluffig | hochwertig ]

Ich muss zuallererst zugeben, dass ich zu Ende des letzten Jahres wohl etwas drastisch in Bezug auf Lianne LaHavas war. Um das also nochmal in aller Deutlichkeit klarzustellen und gegebenenfalls zu berichtigen: Wirklich doof fand ich dieses Album nie. Nur recht unspektakulär und ziemlich überbewertet. Und dass ich jetzt, keine zwei Wochen später, so eine positive Besprechung darüber schreibe, ist weniger ein krasser Perspektivwechsel als das Ergebis eines schleichenden Prozesses, bei dem ich mich ein bisschen besser mit diesen Songs angefreundet habe und von einem "finde ich okay, aber unspannend" zu einem "finde ich nicht weltbewegend, aber ziemlich cool" gelangt bin. Was irgendwie auch der Sinn daran war, mich jetzt nochmal damit zu beschäftigen: Noch mal besser zu verstehen, was meine Empfindungen zu dieser Musik sind und wieso. Wobei ich diesmal tatsächlich versucht habe, mich von all dem Hype und den vielen Dingen, die über dieses Album gesagt wurden, wirklich frei zu machen. Das tat ich im Sommer zwar auch, anscheinend aber weniger erfolgreich. Mit dem Resultat, dass das vielleicht die Faktoren waren, die mich von Anfang an etwas negativer empfinden ließen. Würde jetzt jemand zu mir kommen und mir sagen, dass dies das beste Album des Jahres 2020 ist, würde ich diese Meinung noch immer nicht teilen. Ich kann aber durchaus nachvollziehen, was jemand daran toll findet. Und ich selbst teile inzwischen viele dieser Ansichten. Lianne LaHavas ist eine begnadete Songwriterin und Performerin, die hier eine qualitativ extrem hochwertige Version von gemütlichem Neo-Soul und fluffigem Kammerpop vorstellt. Sowohl als Kompositorin als auch als Sängerin und Arrangeurin brilliert sie in vielerlei Hinsicht und schafft eine etwas gefällige und seichte, aber dennoch einnehmende Variante eines modernen Soul-Konzepts. Ihre stilistischen Verwandten sind dabei Künstler*innen wie Erykah Badu, the Internet, Amy Winehouse und Kali Uchis, die ich auch ich sehr gerne mag und ihr Hang zu folkigen und jazzigen Motiven ist definitiv ein fetter Pluspunkt. Noch immer stört mich dabei ein kleines bisschen die ziemlich klinische Herangehensweise, die wenig Kante und Organik zulässt, doch wird diese LP in keinem Moment davon ruiniert. In den schlimmsten Fällen sorgt diese Tendenz dafür, dass die Songs etwas bieder und Kulturradio-mäßig klingen, nie jedoch auf ein stromlinienförmiges Norah Jones-Level abfallen. Wenn überhaupt, dann sorgt es dafür, dass diese Tracks angenehm unkompliziert wirken und LaHavas selbst Sachen wie ein vertracktes Cover des Radiohead-Klassikers Weird Fishes zu einer seichten Soul-Nummer macht. Und gerade in dieser Fluffigkeit und Gemächlichkeit entdecke ich inzwischen auch seine größte Qualität. Stand Januar 2021 mag ich das hier nicht aufgrund irgendwelcher inhaltlichen Tiefgänge oder kompositorischen Hakenschläge, sondern weil es schön plätscherig und klangtapetig ist. Das heißt zum einen zwar weiterhin, dass ich mich darin endlos vertiefen kann, genießen kann ich es inzwischen aber wesentlich besser. Was definitiv schon mehr ist, als es mir im Sommer oder noch vor ein paar Wochen gab. Und natürlich kann es sein, dass dieser Eindruck flüchtig ist und sich meine Euphorie irgendwann wieder abkühlt, aber das sind nun mal meine Launen, ohne die ich auch hier nicht wäre. Und wer weiß, vielleicht sorgen die stattdessen auch dafür, dass es doch noch ein Lieblingsalbum von mir wird. Sind auf jeden Fall schon seltsamere Dinge passiert.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡⚫⚫ 09/11

Persönliche Höhepunkte: Bittersweet | Can't Fight | Paper Thin | Please Don't Make Me Cry | Seven Times | Courage | Sour Flower

Nicht mein Fall: -

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