Donnerstag, 7. Januar 2021

Das düstere Duo

Moor Mother & Billy Woods - Brass MOOR MOTHER & BILLY WOODS
Brass
Backwoodz Studios
2020










[ abstrakt | versumpft | experimentell ]

2020 war ein Jahr, in welchem das mittelfristige Ausfallen von Gigs und Touren zahlreiche Musiker*innen dazu inspirierte, mehr Zeit im Studio zu verbringen. Diverse Acts waren dabei darunter, die noch während der laufenden Saison zwei oder mehr Platten veröffentlichten und damit wesentlich produktiver im Konserven-Business waren als die meiste Zeit zuvor. Wenige darunter dürften jedoch so übereifrig gewesen sein wie US-amerikanische Rapperin Moor Mother, die im Lauf des letzten Jahres nicht weniger als sieben Longplayer und eine EP veröffentlichte. Nicht alle davon gingen allein auf ihre Kappe, fast die Hälfte waren Kollaborationen mit anderen Künstler*innen und eine Live-LP war auch dabei, trotzdem ist das Ergebnis beachtlich. Und es sorgte dafür, dass die Künstlerin aus Philadelphia sich in den letzten Monaten einen echten Stein ins Brett des amerikanischen Untergrund-Rap legte, der in Zukunft sicher von Nutzen sein wird. Denn nachdem sie 2019 mit Analog Fluids of Sonic Black Holes einen ersten kleinen Achtungserfolg verzeichnete, diente die berserkernde Albumserie direkt danach dazu, diesen wenigstens richtig auszuschlachten. Wobei nichts diese Entwicklung besser unterstreichen dürfte als das vorliegende Album, das als letzter Streich der Serie noch kurz vor Jahresende erschien und mit Billy Woods erstmals eine echte Szenegröße als Sparringpartner gewinnen kann. Das ist aber nicht nur deshalb gut, weil hier ein namhafter Untergrund-Promi seinen Ernst August dazusetzt und Moor Mother damit musikalisch adelt, sondern auch weil diese beiden KünstlerInnen einfach wahnsinnig gut harmonieren. Wobei disharmonieren sicher der bessere Ausdruck wäre, denn stilistisch kommen beide aus einer sehr düsteren, unzugänglichen und experimentellen Ecke des Definitionsbereichs Hiphop. Wo Moor Mother in den letzten Jahren für ihre aktivistisch-abstrakte Rap-Poesie bekannt wurde, die sie auch gerne mit Noise oder Metal paart, ist Woods seit zwei Dekaden sowas wie der destruktive Marcel Proust-Charakter des Hiphop, der in sehr detailreichen und prosaischen Texten die Grausamkeit und Tristesse des menschlichen Daseins porträtiert. Dass Brass kein Banger-Album werden würde, konnte man sich also von vornherein denken. In seiner tiefschwarzen, aufreibenden und apathischen Art ist die LP allerdings schon irgendwie das beste aus beiden Welten, sowohl lyrisch als auch musikalisch. Wobei das sicherlich tollste ist, wie sich diese beiden KünstlerInnen hier durchweg ergänzen. In den wenigsten Momenten funktioniert diese Platte auf eine Ein-Beat-und-jede*r-eine-Strophe-Art und Weise, dafür sind die eigentlichen Songs auch viel zu wüst und zerpflückt. Stattdessen übernimmt meist eine/r von beiden den Löwenanteil der Texte, während der/die jeweils andere immer mal wieder irgendwas einwirft oder im Hintergrund bastelt. In vielen Songs kommen auch diverse Features dazu, die diese Aufteilung nochmal zusätzlich brechen. Die meisten davon sind in gewohnter Weise obskur, aber immerhin zwei Auftritte von Elucid und ein Beat von the Alchemist sorgen für etwas Wiedererkennungswert. Von allen kann man aber prinzipiell sagen, dass sie sich gut in die Ästhetik des Albums einfügen. Und die ist auch klanglich eher eine gut gemachte Collage aus verschiedenen Stilen als ein klares, ausdefiniertes Ding. In Tracks wie Portrait oder Chimney fühle ich mich den düsteren, minimalistischen Sound einiger Billy Woods-Projekte erinnert, andere wie Arkeology oder Furies sind eher verdichtete Klangcollagen und in ihrer Ausführung sehr experimentell. Wieder andere Tracks wie Mom's Gold wirken fast wie instrumentale Interludes. Da es der Produktion (an der beide HauptakteurInnen beteiligt sind) aber gelingt, diese Stile immer wieder konvergieren zu lassen, klingt Brass nie zerrissen oder unfokussiert, sondern immer nach gut ausgeführter Absicht. Was es für beide KünstlerInnen zu einem der spannendsten und gelungensten Teile ihrer jeweiligen Diskografien macht. Gerade im Fall Billy Woods, der nun ja schon seit einigen Jahren unterwegs ist und dessen jüngeren Katalog ich extrem schätze, ist das eine ziemliche Überraschung gewesen. Bei jemandem, der seinen eigenen Stil zuletzt so gefunden hatte und sehr stabil in seiner ästhetischen Nische verharrte, ist es erstaunlich, wie flexibel er hier doch noch werden kann. Zumal diese Flexibilität seinem Sound enorm gut tut. Unter allen Platten dieser beiden Rap-Protagonisten ist Brass also eine, die man sich definitiv merken kann. Denn so cool die zwei individuell auch sein mögen, so selten war die Trefferquote guter Ideen bei ihnen so hoch und die Kreativität so symbiotisch. Soll heißen, dass so eine Platte vielleicht so schnell nicht wiederkommt. Es sei denn, die beiden machen vielleicht noch eine.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡🟢10/11

Persönliche Höhepunkte: Furies | the Blues Remembers Everything the Country Forgot | Arkeology | Blak Forrest | Gang for A Day | Mom's Gold | Chimney | Rock Cried | Scary Hours | Guinness | Giraffe Hunts | Portrait

Nicht mein Fall: -

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