Donnerstag, 21. Januar 2021

Nicht schon wieder Postpunk

shame - Drunk Tank Pink SHAME
Drunk Tank Pink
Dead Oceans
2021
 








 
 
 
[ energisch | dynamisch | britisch ]

Im Januar 2021 scheint die Welt der Popmusik kollektiv an einem Punkt zu sein, an dem die Geduld gegenüber retrofixierten, oft englischen Erste-Welle-Revival-Postpunkbands ein wenig am Ende ist. Das letzte Album der Idles war unter den alten Fans äußerst polarisierend, Fontaines D.C. mussten sich im Sommer viel Kritik anhören und als vor ein paar Wochen alle über die Viagra Boys schrieben, schwang dabei häufig schon ein starker Überdruss mit. Und ich kann durchaus verstehen, woher diese Abneigung plötzlich kommt: Es gibt einfach zu viele Bands, die in den letzten zehn Jahren mit einem mehr oder weniger identischen Sound zu großer Bekanntheit gelangt sind. Wobei die wenigsten von ihnen wirklich so interessant waren, wie immer alle sagten. Klar gab es zwischendrin  echte Perlen wie King Krule, Messer, Marching Church oder die Nerven und von den meisten Gruppen gab es irgendwann zumindest mal eine akzeptable Platte, doch wenige brachten in kreativer Hinsicht tatsächlich irgendetwas voran. Es war eben eine nostalgische Bewegung, die sehr einfach zu bedienen war, die Erfolg versprach und die wahrscheinlich deshalb auch so übersättigt wurde. Und wenige Bands verkörperten diese Trittbrett-Mentalität anfangs so sehr wie Shame, obwohl sie eigentlich nie was dafür konnten. Doch als sie im Sommer 2018 mit ihrem Debüt Songs of Praise durchstarteten, waren sie einfach das perfekte Abziehbild dieses Klischees. Ihr Sound war äußerst unoriginell bei den üblichen Verdächtigen aus den frühen Achtzigern abgekupfert, ihr Songwriting setzte auf die genau richtige Dynamik aus Lärm, Coolness und Depression und der schneidige londoner Dialekt von Sänger Charlie Steen sorgte für die richtige Attitüde in der Performance. Das eigentliche Album war damit gar nicht mal schlecht, aber eben auch extrem vorhersehbar. Und eigentlich dachte ich ob dieser Parameter nicht, dass ich jemals nochmal über die Musik von Shame sprechen würde. Aber da wären wir. Drei Jahre und ein Album später. Und hey, eigentlich hat sich seit dem letzten Mal nicht viel verändert. Immer noch spielt das Quintett jene sehr hektische, kinetische Variante von Postpunk, die eher an Gang of Four als an Joy Division erinnert und noch immer können sie das prinzipiell ziemlich gut. Schon in den ersten Takten des Openers Alphabet spürt man, dass Drunk Tank Pink ein Album mit einer beachtenswerten Dynamik ist, sehr ordentlich produziert wurde und auch Leidenschaft dahinter steckt. Besonders in den Lyrics von Steen merkt man, dass hier eine Band arbeitet, die weiß was sie tut und in dieser Musik mehr als eine Ästhetik sieht. In viele Tracks hier wurde sich mächtig reingehängt und es ist nicht schwer, auch das ein oder andere Statement zu finden. Und ja, das allein reicht auf jeden Fall aus, dass mit diese LP grundsätzlich sympathisch ist. Allerdings kann ein Teil von mir auch weiterhin nicht ignorieren, wie sehr die Briten hier ein bestehendes Klischee bedienen und wie das durchaus dem guten Eindruck der Platte schadet. Denn so sehr ich hier auch in die Details einsteige und versuche, die Songs zu sezieren, ständig stoße ich wieder diese typische Postpunk-Formel, die bei aller Qualität einfach abgelatscht ist. Selbst in den Texten, die ja eigentlich völlig subjektiv zu bewerten sind, finden sich extrem stereotype Passagen über Depression, Antriebslosigkeit und englische Verhältnisse, die so schon Ian Curtis oder Johnny Lydon hätte verfassen können. Und bei aller Liebe, Zufall kann das ja nicht sein. Was letztendlich vor allem für Shame selbst schade ist, denn das hier ist ohne Zweifel ein gutes Album. Nur wird es als das wahrscheinlich eher nicht gesehen, weil alle nur die großen Schultern bemerken, auf denen es steht. Die ganze Kreativität und Hingabe ist als leider ein bisschen für die Katz gewesen. Was nicht heißt, dass ich es nicht empfehlen möchte. Falls hier jemand in der glücklichen Situation ist, 2021 noch wirklich heiß auf diesen Sound zu sein, dann ist das hier womöglich die Band der Stunde. Ich für meinen Teil hoffe aber mal wieder, dass dieses mein letzter Tango mit Shame war.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡⚫⚫⚫ 08/11

Persönliche Höhepunkte: Alphabet | Water in the Well | Snow Day | Harsh Degrees

Nicht mein Fall: Human, for A Minute | Station Wagon

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