Donnerstag, 14. Januar 2021

Carti der Rebell

Playboi Carti - Whole Lotta Red PLAYBOI CARTI
Whole Lotta Red
Interscope
2020
 










 
[ bratzig | angestachelt | dreckig ]

Hätte man mich noch vor ein paar Wochen danach gefragt, was ich eigentlich so ganz allgemein von Playboi Carti als musikalischer Figur halte, hätte ich ausführlich darüber geredet, wie überbewertet ich ihn doch finde. Als eines der größten Themen, die der Kosmos Traprap in den letzten drei Jahren wälzte, ist sein gesamter Hype im wesentlichen auf ein einziges Album zurückzuführen, das ich für die meiste Zeit seiner Existenz für großen Müll befand. Die Lit, das offizielle Debüt des Rappers von 2018, hatte es seit seiner Veröffentlichung reichlich schwer mit mir und erntete meinerseits vor allem Unverständnis. Erst als ich es Ende des letzten Jahres in Vorbereitung auf diesen Nachfolger hörte, änderte sich das signifikant. Zugegeben, noch immer empfinde ich die LP nicht unbedingt als Meisterwerk, noch immer nerven mich gewisse Passagen darauf ein bisschen und noch immer fühlt sie sich etwas zu lang an. Und wo ich bei artverwandten Platten wie Rodeo von Travis Scott oder Without Warning von 21 Savage meine Meinung vor allem aufgrund eines erst nachträglich erkennbaren visionären Charakters änderte, kann ich das bei Die Lit nicht unbedingt sagen. Wenn überhaupt habe ich in den letzten Jahren erst die gewisse Toleranzschwelle für jene Art von langen, monotonen Trap-Alben entwickelt, die mich die Monotonie von Playboi Carti ein Stückweit ausblenden lässt. Stand Januar 2021 sehe ich in ihm einen Künstler, der durchaus sehr spaßige und bratzige Nummern schreiben kann, aber auch immer noch Gefahr läuft, etwas unfokussiert und schlumpig dabei zu werden. Und Whole Lotta Red ist in vielerlei Hinsicht eine LP, die weiterhin beide Seiten dieser Medaille repräsentiert, vermutlich auch mit Absicht. Schon auf Die Lit verwendete Carti viele Begriffe und Bilder aus den Bereichen von Punkrock und Hardcore und verkaufte sich ein wenig als rebellische Rotznase seiner Szene. Natürlich nicht ohne Grund: Ähnlich wie die frühen Punkbands in den Siebzigern sind seine ästhetische Sprache vor allem kurze Tracks, die eher auf krachige und gerne etwas dillettantische Rauhbeinigkeit setzen statt auf technische Perfektion oder größere Konzepte. Nimmt man allerdings dazu, dass seine Musik durchaus sehr kommerzielle Zwecke verfolgt und es im Punkrock auch wesentlich stärker um politische Inhalte geht, merkt man schnell, dass diese Etikettierung etwas oberflächlich bleibt. Auch bei Whole Lotta Red habe ich wieder dieses Problem. Erneut schnappt sich Carti hier eine ganze Reihe eingängiger Catchphrases und Motive klischeehafter Punk-Folklore (sein Fokus geht dabei inzwischen auch ein bisschen in Richtung Goth und Metal) und pappt sie ohne jeden Kontext auf seine Stücke über Geld, Pussy und Autos. Meine Kritik ist dabei nicht, dass Whole Lotta Red kein inhaltlich tiefes Projekt ist, viele seiner ästhetischen Vorbilder sind das auch nicht wirklich, nur sehe ich den Zusammenhang dieser Ästhetiken zu seinem Material überhaupt nicht. Denn gerade durch die Adaption von Motiven aus Punk und Metal wird diese LP konzeptuell zum Gegenteil ihrer rebellischen Idee. Wirklich rebellisch wäre es gewesen (und das war ja irgendwann mal das, was ich an Trap so interessant fand), sich von bewährten Elementen der Popkultur loszueisen und auf vorgefertigte, etablierte Pseudo-Attitüde zu kacken, stattdessen schmückt sich Carti hier mit den Idealen einer vergangenen Generation weißer Mittelstandskids. Was extrem schade ist, denn die eigentliche Musik verkörpert in den besten Momenten einen sehr modernen Sound mit ziemlich rabiatem Spirit. Klar ist die Idee von Traprap an sich im Dezember 2020 nicht mehr wirklich die einer klanglichen Revolution, die es 2013 mal war und in sich auch schon wieder sehr etabliert, doch verkauft Carti die Illusion des aufrührerischen nochmal sehr gut: Seine Performance ist angestachelt, die Beats sind ziemlich räudig, der Appeal ist direkt und ohne doppelten Boden. Selbst die etwas billige Produktion und die hedonistischen Lyrics vermitteln auf sehr positive Weise den Eindruck, dass diese Platte einfach keinen Fick gibt und unbeeindruckt ihr Ding macht. Und wenn es in Tracks wie Beno! oder King Vamp auch noch leichte Versatzstücke von Hyperpop gibt, klingt das erst recht nach jemandem, der frische Ideen über technische Perfektion stellt. Dass diese Platte gerade von Teenagern so gemocht wird, verstehe ich auf rein musikalischer Ebene total und Playboi Carti hat definitiv das Zeug dazu, einen Geist von Edgyness und Fuck-You-Attitüde zu verkörpern. Für mich persönlich bedeutet das aber weder, dass dieses Album visionär ist noch dass es großartig ist. Vielleicht liegt es daran, dass ich selber nicht mehr 16 bin, aber es fällt mir schwer, Whole Lotta Red vorbehaltlos abzufeiern, ohne auch ein oder zwei Fußnoten anzuführen. Was ich auf jeden Fall mag ist seine Attitüde, doch reicht mir das nicht in jedem Moment aus. Vieles daran liegt auch hier wieder daran, dass zu groß gedacht wird. Obwohl die zweite Hälfte der immerhin 24 Tracks fast durchgehend fantastisch ist, muss dieses Album vorher durch einigen Blödsinn durch. So sind die zwei miesesten Tracks der LP gleich die ersten beiden, die mit ihren nervigen Performances schlechte Stimmung machen und den ersten Eindruck nicht gerade zum besten machen. Außerdem ist der Part von Kanye West auf Go2DaMoon eine ziemliche Katastrophe. Später sind es dann vor allem die Tracks mit den deutlichsten Goth- und Punk-Anleihen, die sehr dämlich werden können und auch einfach unnötig sind. Witzigerweise spürt man die immense Länge der LP dabei vor allem in der ersten Hälfte, während die Tracklist ab Control wesentlich besser flutscht. Wie in vielen langen Trap-Platten dieser Sorte steckt also auch in Whole Lotta Red ein sehr gutes 45-Minuten-Mixtape, das leider durch etwas viel doofes Füllmaterial künstlich aufgebauscht wird. Okay ist es unterm Strich trotzdem, aber auch ein bisschen egal. Wie dieses Album sich letztendlich in den Kontext von Cartis Diskografie und im Phänomen Trap an sich einordnet, kann ich aber noch nicht wirklich beantworten. Es könnte gut sein, dass der Rapper hier ein weiteres prägendes Stück Musik wie Die Lit gemacht hat, das den Sound einer Generation einfriert, vielleicht ist es aber auch nur die bedeutungslose kleine Schwester davon. Ich für meinen Teil halte mich inzwischen besser aus solchen Spekulationen heraus, dafür lag ich in der Vergangenheit zu oft falsch.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Beno! | Teen X | Control | King Vamp | Sky | Over | ILoveUIHateU | Not Playing | F33l Lik3 Dyin

Nicht mein Fall
Rockstar Made | Go2DaMoon | Vamp Anthem | Punk Monk

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