Dienstag, 8. September 2015

Arthaus Gangsta Shit

TRAVIS SCOTT
Rodeo

Epic
2015
















Wer ist Travis Scott? Diese Frage sollte man dieser Tage eigentlich nicht mehr hören, zumindest wenn gemeinte Person in der Vergangenheit schlau gewesen wäre. Denn hinter dem scheinbaren No-Name-Künstler versteckt sich eine der Schlüsselfiguren des Southern Rap der letzten Jahre. Travis Scott war vor zwei Jahren der Typ, der in der Produktion von Yeezus den Hut auf hatte und der für viele Fans der Platte seitdem als einer der größten Newcomer am HipHop-Himmel gilt. Das Problem ist nur, dass es von ihm bisher so gut wie kein eigenes Material gab und wenn, dann war dieses irgendwie auch nur so halb von ihm. Seine erste EP Owl Pharaoh war für viele eine herbe Enttäuschung und das Mixtape Days Before Rodeo, welches das aktuelle Album vorwärmen sollte, wurde noch nicht mal von ihm selbst produziert. Trotz des offenkundigen Talents von Scott standen die Zeichen für sein kommerzielles Debüt also denkbar schlecht und um ein Haar hätte ich mir das Review gespart. Als ich dann jedoch die Meinungen meiner Kollegen in den Staaten las und hörte, die durchweg sehr positiv ausfielen, war ich doch neugierig? Hatte dieser Typ doch endlich den Hintern hochgekriegt und die Platte gemacht, die alle schon so lange von ihm haben wollten? Die Antwort darauf ist ein Jein. Denn wie erwartet ist dieses Album definitiv nicht ausgefallen. Rodeo ist nicht der Longplayer, der von vorne bis hinten mit Trap-Bangern voll ist und den Kids die neuen Hits liefert. Im Gegenteil: Für die Verhältnisse des Genres ist es eher ganz schöner Arthaus-Kram. Wir sprechen hier von einem 75-minütigem, streckenweise konzeptuellen Gesamtwerk, das vielleicht zum introvertiertesten Material zählt, das in der Southern-Rap-Landschaft je veröffentlicht wurde. Das mag überraschend klingen, stehen auf der Feature-Liste hier doch Leute wie 2 Chainz, Chief Keef und Justin Bieber (der Junge wird auch immer besser), allerdings muss man dann auch daran denken, dass Travis Scott damals von Kanye West entdeckt wurde. Und Kanye West weiß, was er sich da auf die Platte holt. Halten wir also fest: Rodeo ist eine ziemlich ungewöhnliche Angelegenheit. Aber ist sie deshalb auch gleich gut? Man muss hier sagen, dass diese Frage sehr vom Geschmack abhängt. Weder Atlanta-Hardliner noch unerbittliche Björk-Fans werden sich hier besonders wohlfühlen, die meisten Songs hier finden tatsächlich in einer Grauzone statt. Auf der einen Seite gibt es die Trap-Beats, die gimmickhaften Backup-Vocals, dicke Schichten von Autotune und auch eine gewisse Gangsta-Attitüde. Allerdings wird das alles auf eine Art inszeniert, die sich sehr von den meisten Projekten dieser Sparte abhebt. Achtminütige Songs, eine ausgeprägte melancholische Ader und die einnehmende Persönlichkeit dieses Travis Scott, der einfach so überraschend anders ist als die meisten seiner doch sehr gleichförmigen Kollegen. Das sind theoretisch sehr positive Ansätze. Doch manchmal hat man dann beim Hören ein bisschen den Eindruck, dass die Welt noch nicht wirklich bereit für diese Art von HipHop ist. Denn obwohl jeder Song hier seine ganz eigene Ausdrucksweise hat, grandios produziert und kreativ geschrieben ist, passen die tollen Einzelteile hier doch nur bedingt zusammen. Sicherlich hätte man das auch deutlich schlechter machen können, aber ich frage mich, ob es nicht auch deutlich besser möglich wäre. Fürs erste mag ich Rodeo für seinen Ideenreichtum und die Umsetzung, die immerhin noch niemand besser gemacht hat, weil sie noch niemand auf diese Weise gemacht hat. Die Zeit und die weitere Karriere von Travis Scott werden zeigen, was daraus entsteht. Ein Blick über den Tellerrand kann auch schnell zu unerwarteten Konsequenzen führen. Kanye West kann davon ein Lied singen.
8/11

Beste Songs: Wasted / 90210 / Piss On Your Grave / Maria, I'm Drunk / Flying High

Nicht mein Fall: 3500

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