Dienstag, 29. September 2015

Aus aktuellem Anlass

Eigentlich sollte an dieser Stelle heute ein Review zum neuen Album von Julia Holter stehen, doch eine Meldung, die aktuell im Internet kursiert, hat mich dazu veranlasst, diesen Post zu schreiben. Über einen privaten Anbieter gelangten in letzter Zeit Tweets von Deafheaven-Gitarrist Kerry McCoy an die Öffentlichkeit, in denen er wiederholt homophobe Äußerungen von sich gibt und diverse User als "faggots" bezeichnet. Über einige prominente Seiten wurden diese nun gepostet, weswegen ihr Urheber schwer in der Kritik steht. Von einigen Quellen hört man zwar schon jetzt, dass es sich bei diesen Tweets um Fälschungen handelt beziehungsweise diese einer Meinung entsprechen, die der Verfasser mittlerweile nicht mehr vertrete. Doch da momentan weder Beweis noch Gegenbeweis erbracht wurden, möchte ich zum Zeitpunkt davon ausgehen, dass sie die tatsächlichen Gedanken von McCoy widerspiegeln.
Wie sicherlich viele Leute in meinem Umfeld und einige auch durch diesen Blog wissen, bin ich großer Fan der Band Deafheaven. Auch ihr neues Album habe ich mir bereits teilweise angehört und bin sehr angetan. Bis zuletzt hatte ich mich sehr darauf gefreut, es zu seinem Veröffentlichungstermin in etwas weniger als einer Woche durchzuhören, zu besprechen, ihm eine wahrscheinlich sehr gute Note zu verpassen und mir über kurz oder lang eine Kopie davon zu kaufen. Doch im Licht der jüngsten Ereignisse bin ich skeptisch, ob ich dies tun möchte. Die homophoben Tweets von McCoy sind nicht das erste Mal, dass mit Deafheaven durch Aussagen, die ich politisch nicht unterstützen kann, übel aufstoßen. In Interviews zu ihrem letzten Album Sunbather erwähnte die Band beiläufig, stark von der norwegischen Black Metal-Formation Burzum beeinflusst zu sein. Diese fiel in den Neunzigern nicht nur durch ihre äußerst faszinierende Herangehensweise an das Genre auf, sondern vor allem auch durch politische Ideologien, die zutiefst faschistoid und homophob waren. Frontmann Varg Vikernes wurde sogar des Mordes an einem befreundeten Musiker angeklagt. Solche Bands als Vorbilder zu haben, ist nicht gerade harmlos. Und Deafheaven ließen die Nennung von Burzum als Einfluss stets unkommentiert. Ein bisschen verdächtig fand ich das schon damals, nagelte mich jedoch nicht darauf fest. Schließlich möchte man solche Dinge eigentlich nicht hören, wenn es um seine Lieblingsmusiker geht. Doch die neuen Erkenntnisse, ob nun echt oder nicht, bringen mich wiederum zum Nachdenken. Was ist, wenn diese großartige Band, die ich seit Jahren leidenschaftlich höre, Meinungen vertritt, die ich beim besten Willen nicht unterstützen möchte? Wie reagiert man als Fan auf so etwas? Und wie als Informationsmedium? Ich bin mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher. Gerade stehen auf der einen Seite das grandiose neue Album und auf der anderen Seite bedenkliche Äußerungen der Mitglieder. Werde ich am kommenden Wochenende ein Review schreiben? Auf jeden Fall. Deafheaven sind eine wichtige Gruppe für die gesamte Musikszene, für diesen Blog und schlussendlich auch für mich. Wahrscheinlich wird New Bermuda auch trotz allem eine ziemlich gute Note erhalten, denn ich möchte die Qualität der Musik auf keinen Fall durch die Ideologien der Künstler beeinflusst sehen, so lange sie nicht in der Musik selbst zu Tage treten. Und Am Ende werde ich dieses Album fast behandeln wie jedes andere. Mit der Ausnahme, dass ich diese Thematik auch im Review nicht unkommentiert lassen werde und mich selbstverständlich weiter über den Sachverhalt der Tweets von McCoy informieren werde. Soviel zum neuen Longplayer. Wie ich langfristig verfahren werde, ist noch sehr unklar. Sollte sich herausstellen, dass McCoy tatsächlich homophobes Gedankengut unterstützt, werde ich mich entscheiden müssen. Kann ich es moralisch rechtfertigen, diese Band weiterhin zu hören? Sollte ich es vermeiden, mir ihre Platten zu kaufen oder auf ihre Konzerte zu gehen? Muss das große Tourplakat, das über meinem Schreibtisch hängt, dann in den Müll? Kann ich im Rahmen dieses Blogs überhaupt noch über sie sprechen? Wäre eine gute Albumkritik am Ende Publicity für homophobe Ansichten? Fakt ist: Ich kann weder ignorieren, dass diese Band mit ihren Songs mein Verständnis für Musik verändert hat noch kann ich Aussagen, die eventuell gemacht wurden, tolerieren. Mit diesem Post bitte ich um euer Verständnis, wenn nächste Woche das Review zum neuen Deafheaven-Album wie geplant kommt. Mir ist die Situation bewusst und ich werde sie nicht ignorieren. So wie ihr sie hoffentlich auch nicht ignoriert. Ich wünsche noch einen angenehmen Tag.

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