Samstag, 2. Januar 2021

Astrodad

KID CUDI
Man on the Moon III: the Chosen
Republic Records
2020

 

 

 
 
 
 
 
 

[ psychedelisch | zeitgenössisch | eingängig ]

Ich muss gleich zu Anfang dieses Textes ganz deutlich sagen, dass der Wissensstand, den ich zum Künstler Kid Cudi insgesamt habe, ein sehr unvollständiger ist. Ganz einfach aus dem Grund, weil meine Erfahrung mit seiner Musik für mich persönlich noch etwas relativ neues ist und ich ihn erst seit einigen Jahren wirklich aktiv verfolge. Was angesichts seiner Karriere - das zumindest habe ich vom Hörensagen mitgekriegt - ein sehr unzureichender Horizont ist. Fragt man die Fans des Kaliforniers, von denen es ja seit einer Weile wieder recht viele gibt, ist seine beste und einflussreichste Periode bis heute die seiner ersten beiden Longplayer Man on the Moon Eins und Zwei gewesen, von denen zumindest das erste inzwischen als visionärer Klassiker gilt. Nicht nur gilt der frühe Output von Cudi aus heutiger Sicht als wesentliche Blaupause für den psychedelischen, R'n'B-infizierten Poprap-Sound von Leuten wie Travis Scott oder Young Thug, auch war er ein wesentlicher Impulsgeber für das Berufbild des singenden Rappers sowie für introvertiertere Texte, die sich mitunter auch stark mit mentaler Gesundheit und eigenen Dämonen auseinandersetzten. Dass dieser Typ ein Pionier vieler momentaner Trends ist, schein also ein objektiver Fakt zu sein, für den man nicht alle seine Alben gehört haben muss. Und gerade in den letzten Jahren wird er nach einiger Zeit im kommerziellen Poprap-Sumpf der David Guetta-Kollaborationen und Ibiza-Remixes auch wieder mehr und mehr dieser progressiven Attitüde gerecht. Berühmt-berüchtigt ist in dieser Hinsicht sein 2015 veröffentlichtes Indierock-Crossover-Projekt Speedin' Bullet to Heaven, welches in seiner Fanbase noch immer äußerst kontrovers diskutiert wird, sowie seine 2018 veröffentlichte Kollaboration mit Langzeitpartner Kanye West auf Kids See Ghosts, seit der auch ich spätestens so richtig dabei bin. Und nun nach zehn Jahren eben Man on the Moon III, die offizielle Wiederaufnahme seines sagenumwobenen ersten Albumdoppels, das dessen Idee fortführen soll. Was, wenn wie ich diese Platte richtig verstehe, weniger die Reproduktion des damaligen Sounds bedeutet sondern eher die Wiederaufnahme progressiver Ideen ins Songwriting des Kaliforniers. Und zumindest am Style seiner einstigen Protegées scheint Cudi hier zu sein. Klare klangliche Referenzen auf the Chosen sind ziemlich sicher die letzte LP von Travis Scott, die Emotrap-Stylings von Leuten wie Juice WRLD und Lil Peep, ein bisschen englischer Grime und vielleicht eine Prise Post Malone, 070 Shake und Tame Impala. Ausgeglichen wird das ganze durch einen stabilen Rest etwas älterer Einflüsse, die eindeutig vom Beginn der letzten Dekade stammen, aber deshalb nicht unbedingt schlecht sind. So äußern sie sich unter anderem dadurch, dass sich Cudi in Songs wie the Void oder Sad People noch eine großkotzige Pop-Hook traut und klanglich oft deutlich weniger verschwurbelt klingt als seine jüngeren Kolleg*innen. Auch ist deutlich spürbar, dass the Chosen für Inspiration nach wie vor nicht nur beim Hiphop abguckt. So hat Elsie's Baby Boy eine stark an House of the Rising Sun angelehnte Gitarrenline (die besser klingt als sich das jetzt liest), die kompositorischen Strukturen sind oft eher Popsongs als Rap-Nummern und in Lovin' Me schaut überraschend Indiedarling Phoebe Bridgers vorbei. Vieles klingt dabei, als hätte jemand vor zehn Jahren versucht, einen Prototypen von Astroworld aufzunehmen, was in den meisten Momenten heißt, dass the Chosen ein ziemlich zufriedenstellendes Album ist. Dass Cudi dabei nicht mehr der originellste und zeitgemäßeste Sound einfällt, ist in meinen Augen sogar ein Vorteil, denn statt sich vollumfänglich an aktuelle Trends zu schmeißen, findet er hier seinen eigenen Zugang dazu und ist nach wie vor er selbst. Was ihn 2020 irgendwie ein bisschen zum altvorderen Szene-Papa macht, der bei seinen Kompetenzen bleibt, dem neuen gegenüber aber aufgeschlossen bleibt. Nichts sollte das besser unterstreichen als seine Zusammenarbeit mit Trippie Redd und Pop Smoke auf zwei Songs und es ist alles in allem ein sehr harmonischer Ausblick. Nach den vielen Hochs und Tiefs der letzten Jahre ist es äußerst befriedigend, Kid Cudi jetzt an diesem Punkt zu sehen, an dem er sowohl Annerkennung für sein frühes Werk bekommt, aber auch selbst wieder mitspielen kann und aktiver Kreativpartner ist. Ein Szenario, dass sich sicher jeder alternde Rap-Visionär nur wünschen kann. Und so alt ist dieser hier ja noch nicht mal.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Hat was von
Travis Scott
Astroworld

Drake
Thank Me Later

Persönliche Höhepunkte
Tequila Shots | She Knows This | Dive | Show Out | Sad People | Elsie's Baby Boy (Flashback) | the Void | Rockstar Knights | Lord I Know

Nicht mein Fall
Damaged
 

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