Sonntag, 21. November 2021

Die leeren Zimmer

SNAIL MAIL
Valentine
Matador
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ seicht | lethargisch | melancholisch ]
 
23 Jahre jung ist Lindey Jordan im Winter 2021, was ein Alter ist, in dem andere Musiker*innen gerade mal so richtig anfangen, so etwas wie eine eigene Indentät zu entwickeln und über die Art Kunst nachzudenken, die sie langfristig machen wollen. Sie hat das zu diesem Zeitpunkt alles schon hinter sich und sitzt, was ihre Entwicklung angeht, inzwischen lange fest im Sattel. Bereits vor sechs Jahren tauchten bescheidenen erste Gehversuche ihrer Arbeit mit Snail Mail - einer Band, die im wesentlichen ihr eigenes Brainchild ist - in einschlägigen Musiknerd-Tummelplätzen als Geheimtipps auf und noch ehe sie ihr zwanzigstes Lebensjahr vollendete, angelte sie sich dadurch einen dicken Deal beim Nobel-Indie Matador Records, auf dem sie 2018 auch ihr Debüt veröffentlichte. Selbiges war dann vor allem dadurch erstaunlich, wie souverän und unbeirrt Jordan darauf Songs schrieb, die so klangen wie das dritte oder vierte Album anderer Künstler*innen. Für mich war es damit eines der Highlights innerhalb der zu dieser Zeit sehr reichhaltigen Bubble junger Acts wie Soccer Mommy, Frankie Cosmos oder Boygenius, die allesamt eine softe, aber sehr beharrliche Variante von Indierock spielten und Snail Mail eine Formation, der ich darin eine glorreiche Zukunft prophezeihte. Drei Jahre später erscheint mit Valentine nun deren zweiter Longplayer und tritt hinein in eine Welt, die Lindsay Jordan eigentlich nicht mehr braucht. Die Musik die sie spielt, hat spätestens mit seiner Mainstreamwerdung während der letzten Saison einen gewissen Übersättigungspunkt erreicht und die Tatsache, dass sich mit dieser LP viel Zeit gelassen wurde, hat Snail Mail von der Frontlinie einer Bewegung in deren Windschatten befördert, wo die ganze Angelegenheit plötzlich nicht mehr halb so spannend erscheint wie noch vor einigen Jahren. Dass dieser Nachfolger mit einer gesunden Portion Geduld angegangen wurde, war für mich dabei eigentlich ein gutes Zeichen, da ich schon irgendwie der Überzeugung war, dass ein Schnellschuss nach einem so gelungenen Debüt nicht die richtige Lösung gewesen wäre. Nur fühlt sich Valentine drei Jahre später trotzdem sehr danach an. Ganze 10 Tracks in 31 Minuten bringen Snail Mail hier zusammen, von denen gut die Hälfte nicht mehr ist als ziemlich generisches Füllmaterial. Die wenigsten Stücke sind dabei effektiv schlecht und es gibt sogar ein paar echte Highlights, nur fühlt sich das ganze sehr oft an wie eine verwässerte und weniger leidenschaftliche Version der Tricks, die das erste Album einfach besser drauf hatte. Was ich an Snail Mail vor drei Jahren so mochte, war der Raum, den Jordan ihren Songs gab, um eine echte Intensität zu entwickeln und obwohl diese schon dort sehr lethargisch und seicht waren, konnte man sich doch sehr in deren Emotionalität hereinfühlen. Auf Valentine hingegen wirken viele Tracks wie leere Räume, die an sich zwar ähnlich aufgebaut sind, aber denen einfach die richtige Einrichtung fehlt, um sie ein bisschen gemütlicher zu machen. Dabei liegt es gar nicht mal daran, dass die Stücke zu minimalistisch gearbeitet wären, instrumental gesehen ist die neue LP sogar wesentlich vielfältiger als sein Vorgänger. Viel eher ist das Songwriting einfach sehr ordentlich, was in diesem Fall eben oft langweilig bedeutet. Man merkt das sehr gut in Songs wie Madonna oder dem Titeltrack, die stellenweise eben doch nochmal eine starke Hook oder ein cooles Filling aus dem Hut zaubern und sich damit gewaltig vom üblichen Trott dieser Platte abheben. Insbesondere letzteren finde ich dabei richtig genial, weil er die anfängliche Stille sehr clever nutzt, um dann im Refrain doch noch aus der Haut zu fahren und eine tolle Dynamik aufzubauen. Was er leider ganz am Anfang einer LP macht, die danach nicht nochmal so spannend wird. Zwar ist Valentine bei alledem kein völliger Totalausfall, sondern eigentlich ein ganz nettes Stück Musik, das ich grundsätzlich mag, nur liegt gerade da auch irgendwie der Hund begraben. Nett können in diesem Bereich von Indierock sehr viele, besonders und eindrücklich können allerdings die wenigsten. Und auf ihrem Debüt war Lindsey Jordan eine Künstlerin, die zu letzteren gehörte. Dass sie es gleich auf ihrem zweiten Album wieder einbüßt, ist dabei keineswegs ihr Ende, gerade weil sie sehr früh damit angefangen hat, Profimusikerin zu sein. Das es mich unbesorgt lässt, kann ich aber trotzdem nicht behaupten. Denn eingedenk dessen, dass diese stilistische Richtung allgemein gerade viel von ihrer einstigen Coolness verliert und und als spannendes Indierock-Modell langsam ausläuft, wird es für sie in den nächsten Jahren nicht einfacher. Es sei denn, sie geht mit der Welle und hat bald einen Tiktok-Hit oder so. Aber dafür ist sie dann wahrscheinlich doch wieder zu cool.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Valentine | Forever (Sailing) | Madonna

Nicht mein Fall
Automate


Hat was von
Soccer Mommy
Color Theory

Stella Donelly
Beware of the Dogs


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