Dienstag, 2. November 2021

Vielleicht kommt die Blässe vom Aderlass

NEROMUN
Blass
Lauter Lauter
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ artsy | minimalistisch | schleichend ]

Schon seitdem mir der Künstler Negroman im Winter 2016 auf seinem selbstbetitelten Debüt begegnete, kenne ich ihn als eine der Schattengestalten der deutschen Rapszene, die in deren ästhetischem Kontext ganz bewusst eine Außenseiterrolle einnehmen. Zwar war er in der Vergangenheit niemand, der mit seiner Musik Genregrenzen einriss oder irgendwelche stilistischen Räder neu erfand, aber als Type seltsam genug, um weit abseits der üblichen Parameter von Deutschrap zu stehen. Seine Texte waren wild poetisch und verrucht, in abstrakten Vokabeln redete er über schweinische Fantasien und seine ganz persönliche Hiphop-Etikette, wobei man immer erstmal durch einen tiefen Metapherndschungel hindurchwaten musste, um zu den eigentlichen Inhalten vorzustoßen. Mit dieser Inkarnation seiner musikalischen Identität erschuf der Mainzer, der vorher auch vielen schon als ein Teil des Duos Luk & Fil bekannt war, zwei ziemlich coole Longplayer und eine nicht weniger als grandiose EP und es war eigentlich alles super. Doch wie er selbst hier deklamiert, war das anscheinend noch nicht seine finale Form. Und so wandelt sich auf Blass nicht nur Negroman zu Neromun, vor allem musikalisch passiert so einiges. Im wesentlichen, dass man hier statt schlafzimmerigem Jazzrap mit abstrakten Lyrik-Geflexe eher artsigen Post-R'n'B-Kunstpop hört, auf den der Mainzer bevorzugt singt statt zu rappen. Seine Themen sowie sein allgegenwärtiger textlicher Schalk sind dabei geblieben, sie sind nur noch diffuser und abstrakter gehalten als vorher. Wobei ein Schritt wie dieser für jemanden wie Neromun auf dem Papier schon irgendwie verständlich ist. Bereits vorher wirkten die Parameter des Hiphop für sein Verständis von Kreativität eher einengend und dass hier ein überzeugter Vollblutkünstler und Provokateur am Werk ist, dürfte ebenfalls keine Neuigkeit sein. Nur ist Blass ein Album, das sich schwer damit tut, diesen Anspruch auch so auszuformulieren, dass ein ansprechendes Ergebnis dabei rauskommt. Die elf Tracks in 30 Minuten sind in den meisten Fällen eher Skizzen als wirklich auskomponierte Songs und erinnern vor allem instrumental an die sehr fadenscheinige Musik von Leuten wie FKA Twigs oder 070 Shake. Mit dem Unterschied, dass Neromun für diese ätherische Substanz keine richtige Füllmenge zur Verfügung steht, beziehungsweise er sie einfach nicht nutzt. Denn dass er ein guter Texter ist, wäre ja eigentlich die Lösung für vieles, das möchte er aber anscheinend nicht sein. Ausgerechnet in diesem Bereich hält er diesmal sehr zurück und bringt nur einen relativ geringen Bruchteil seiner poetischen Masse zum Tragen, der dann auch eher seltsam ist. Viele der Strophen hier sind nicht mehr als kunstige Ramblings und Wortspiele, die oft völlig zusammenhangslos stattfinden und sich nicht zu den komplexen Verfädelungen aufbauen, die ich von ihm bisher so mochte. Gleichzeitig bekommt Neromun es nicht hin, diese Stärken effektiv zu ersetzen und wirklich etwas gleichwertiges neues zu kreieren. Wass Blass am Ende wie ein sehr, nun ja, blasses Ergebnis wirken lässt, das noch dazu etwas leicht pretenziöses hat. Dabei bin ich der Idee, die hinter der ganzen Sache steht, ja grundsätzlich gar nicht abgeneigt und finde es toll, dass dieser Künstler weiterhin so forsch neue Territorien erforscht und dabei wahrscheinlich auch einige Darlings killt. Stand jetzt funktioniert die ganze Sache aber leider überhaupt nicht und braucht noch einiges an Arbeit, um erstmal einen Anflug von Potenzial zu zeigen. Wobei ich hoffe, dass dieser Tag noch kommt, denn einen so talentierten Rapper wie diesen so einfach an die Art Crowd zu verlieren, fände ich doch immens schade.

🔴🔴🔴🟠⚫⚫⚫⚫ 04/11

Persönliche Höhepunkte
Beau Sketch
 
Nicht mein Fall
Fall
 
 
Hat was von
FKA Twigs
LP1
 
070 Shake
Modus Vivendi
 

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