Freitag, 19. November 2021

The Way Old Friends Do

ABBA - VoyageABBA
Voyage
Polar
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ vertraut | brav | billig ]
 
Ich muss diesen Text direkt mit einem ziemlichen Hot Take anfangen, der in den Augen einiger vielleicht nervig sein mag, für das folgende hier geschriebene aber imminent wichtig ist: Wenn es um das Album-Comeback von Abba geht, war meine persönliche Einstellung in dessen Vorfeld nicht nur die einer leichten Skepsis, ich hielt das ganze ehrlich gesagt für eine ziemlich dumme Idee. Und ich weiß auch, dass es in Bezuf auf Voyage sicher den wenigsten so ging, doch je mehr ich mich seit der Ankündigung der Platte selbst danach fragte, desto sicherer war ich mir meiner Zweifel. Ich freute mich dabei schon irgendwie für alle Fans von früher und heute, die hier eine ihrer Lieblingsbands wiedervereingt sahen, die zuletzt gemeinsam vor 40 Jahren Musik machte und kann auch deren Liebe zum letztlichen Ergebnis gut nachvollziehen, doch gab es verschiedene Gründe, die mich nun mal anders fühlen ließen. Erstens wäre da mein persönlich eh schon nicht ideales Verhältnis zu den SchwedInnen und das Problem, dass ich sie sowieso nie für eine so großartige Nummer hielt, zumindest was ihre Fähigkeiten als Albumband angeht. Während ihrer gesamten Karriere waren Abba eine sichere Bank, wenn es um Singles ging, als die sie über Jahre hinweg stabil ablieferten. Auch ich nenne nicht wenige ihrer einschlägigen Hits aus den Siebzigern und Achtzigern meine Lieblingssongs und könnte Stunden darüber verlieren, warum Gimme Gimme oder Lay All Your Love On Me popmusikalische Kleinode sind, doch sprechen wir von Alben, gibt es lediglich zwei von ihnen, die ich besser als nur durchwachsen finde (für die, die es interessiert: Voulez-Vous als persönlicher Favorit und Waterloo als unterschätzter Geheimtipp) und die ich tatsächlich für konsistente Gesamtergebnisse halte. Die Chancen, dass eine neue Platte nach vier Dekaden plötzlich wieder eine solche sein könnte, waren also eher gering. Der zweite Grund für meine Skepsis ist dem allgemeinen Zynismus geschuldet, den ich mir in den vergangenen Jahren gegenüber lang erwarteten Comebacks angewöhnt habe und der sich aus zu vielen schlechten Erfahrungen speist, die ich in diesem Format gemacht habe. Zu selten erlebte ich ein Album, das nach über zehn Jahren oder mehr tatsächlich nochmal spannend war und zu oft stattdessen Nullnummern wie the Endless River von Pink Floyd, ein the Magic Whip von Blur oder Fear Inoculum von Tool, die sehr unter ihrem eigenen Mythos ächzten, dahinter aber wenig auf dem Kasten hatten. Und mit Voyage haben wir dieses Problem nochmal auf eine übermenschlichere Größe aufgeblasen, da Abba nicht nur sehr sehr lange keine Musik gemacht haben, sie sind auch noch eine der bis heute erfolgreichsten Bands aller Zeiten. Womit alles, was diese LP potenziell sein könnte, automatisch hinter den Erwartungen zurückbleibt, die so ein Comeback mit sich bringt. Abba selbst finden damit sogar noch einen sehr gesunden Umgang, indem sie einfach die gleiche Musik machen wie schon früher immer und nüchterne 37 Minuten neues Material präsentieren, die kein bisschen episch oder weltbewegend sein wollen. Nur ist die Frage, ob das die Fans auch zu schätzen wissen. Für mich als Skeptiker heißt es sowieso, sich mit einem eher durchwachsenen Ergebnis zufrieden zu geben und maximal vielleicht auf ein paar Banger zu hoffen. Wobei ich in dieser Hinsicht sagen muss, dass der Alles-wie-immer-Ansatz von Voyage insofern hilft, dass Abba in einigen Momenten tatsächlich wieder das kompositorische Je-ne-sais-Quoi anzapfen, das ihnen nach wie vor eigen ist. Wenn in Songs wie Don't Shut Me Down, Keep An Eye On Dan oder When You Danced With Me wieder die typisch andersson-ulveas'schen Synth-Harmonien durchklingen und Agneta Faltskogs und Anni-Frid Lyngstads klassische Vokalduette erstaunlich wenig eingerostet wirken, hat das schon mächtig Flashback-Charakter und ich muss meinen Respekt dafür äußern, wie die Band das nach so langer so Zeit einfach wieder abruft. Nur kommen mit diesen tollen Attributen gleichzeitig auch viele der albernen und nervigen Elemente zurück, die schon auf den früheren Abba-Alben immer viel verspielten und über die aus gutem Grund kaum noch jemand redet. Schmandige Nummern wie Bumblebee oder Ode to Freedom sowie das sehr chaotische Just A Notion sind am Ende das Resultat und zeigen Abba eben auch als eine Gruppe, die selbst nach fast einem halben Jahrhundert aus ihren kindischen Siebziger-Angewohnheiten nicht herauskommt. Erschwerend kommt an vielen Stellen dazu, dass sich die SchwedInnen auf eine sehr schlagerig-polierte Produktion verlassen, die selbst für eine so zahme Band wie Abba oft sehr charakterlos und leider auch ein bisschen billig daherkommt und sie in den schlimmsten Fällen klingen lässt wie eine Coverband von sich selbst. Und wenn wir von Hits sprechen, gibt es diese zwar schon ein bisschen, allerdings auch in deutlich zahnloser als fast alles, was es in den Siebzigern und Achtzigern von dieser Band gab. Ich meine all diese Sachen nicht gehässig und ich verstehe zum Teil auch, wieso dieses Album so gemacht wurde wie es gemacht wurde. Die Abba von 2021 wollen keine Chartsongs mehr schreiben und haben hier primär Spaß daran, wieder zusammen im Studio zu sein und Musik zu machen wie früher. Und dass das zu einem Ergebnis führt, das ich eher so lala finde, kann ich insofern auch akzeptieren. Was ich allerdings echt schade finde ist, dass sie sich für das, was sie hier musikalisch geleistet haben nicht wenigstens eine*n guten Produzent*in oder ein paar gute Sparringpartner*innen geleistet haben, die das ganze etwas mehr in eine Richtung pushen, die so einem Release würdig gewesen wäre. Finanziell wäre es sicher kein Problem gewesen und wahrscheinlich hätten die meisten sich regelrecht um den Job gerissen. Dass es jetzt so autark entstanden ist, spricht irgendwie für die Attitüde der Band, zeichnet sich aber auch im Ergebnis ab. Und nicht unbedingt auf eine schöne Weise. Meine Befürchtungen über Voyage haben sich damit im großen und ganzen bestätigt: Obwohl oder gerade weil es gar nicht erst versucht, ein großes Comeback zu sein, ist das hier eine sehr durchwachsene Angelegenheit, die zwar nicht vollkommen in die Hose geht, aber weder mit großen Einzel-Highlights punkten kann noch mit Kohärenz. Und ich wäre vielleicht sauer darüber, wenn das nicht schon meine Empfindungen über die meisten anderen Sachen von Abba gewesen wären. So bin ich einfach nur froh, nicht mehr erwartet zu haben.

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 05/11

Persönliche Höhepunkte
When You Danced With Me | Don't Shut Me Down | Keep An Eye On Dan

Nicht mein Fall
Little Things | Just A Notion | Bumblebee | Ode to Freedom


Hat was von
Elton John
One Night Only

Bee Gees
Spirits Having Flown


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