Dienstag, 14. April 2015

Man lebt nur zweimal

TYLER, THE CREATOR
Cherry Bomb
Odd Future
2015















Noch vor einigen Wochen hatte ich im Bezug auf das neue Album von Earl Sweatshirt ziemlich eindeutig den Eindruck verneint, dass Odd Future wieder Gesprächsthema werden würden. Die Bestrafung dafür folgte vor drei Tagen auf dem Fuß. Gang-Chef Tyler, the Creator kündigte ganz plötzlich und gerade Mal fünf Tage vor dem eigentlichen Release ein neues Album an, obwohl er eigentlich angekündigt hatte, sich von der Musik zurückzuziehen. Zusammen mit dem schon ziemlich überraschenden Earl-Longplayer Ende März war das die ultimative Message: Odd Future wollen es noch mal wissen. Und diesmal so richtig. Nachdem die erste große Hype-Welle nach eher mäßigen Ergebnissen ziemlich schnell wieder abebbte, hat der Hauptact des Labels sich ein ganzes Stück weit neu erfunden und versucht hier erstmals, ein bisschen ernst zu machen. Als die so ziemlich einzige Person, die noch immer findet, dass Goblin damals ein Meisterwerk war, klangen diese Neuigkeiten für mich gleichzeitig verheißungsvoll und beunruhigend. Zum einen freute ich mich, da es vielleicht diesmal was werden würde mit dem richtig guten Nachfolger und Odd Future wieder an Fahrwasser gewinnen würden. Andererseits war ein professioneller Ansatz für mich nicht unbedingt das Mittel, um das zu erreichen. Kanye West, Lil Wayne oder Schoolboy Q gehörten meiner Meinung nach genauso wenig auf eine Platte von Tyler wie Soul-Samples und auf Hochglanz geschliffene Produktion. Als die ersten beiden Singles Deathcamp und Fucking Young veröffentlicht wurden, fand ich diese logischerweise auch erstmal ziemlich furchtbar. Seine arrogant-charmante Vollassel-Attitüde mischte der Kalifornier hier mit wahnsinnig tighter Produktion und Diabetes-Hooks. Zudem war das Gitarren-Sample in Deathcamp echt unter aller Sau. Wäre mein Glaube in Tyler nicht so stark gewesen, hätte ich von Cherry Bomb vermutlich gleich die Finger gelassen. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich doch reingehört habe. Denn obwohl es auch danach noch einige Durchgänge brauchte, ehe diese Platte für mich funktionierte, war ich doch mehr und mehr von dem angefixt, was der Creator hier tut.
Seine Texte sind immer noch die gleichen, deprimiert schleichenden First-World-Problems-Ekelpakete, die man auch schon auf Goblin hörte, nur hat Tyler diesmal mindestens zehn Mal größere Eier (ob er nun will oder nicht). "I'm rapping about diamonds and cars and money now / what the fuck has gotten into me?" hört man ihn in Keep Da O's fragen. Und wenn ihn so eine Zeile nicht sympathisch macht, dann sollte man mit dem Rest lieber gar nicht anfangen. Denn da geht es wie immer ordentlich zur Sache: Tyler spuckt hier Gift und Galle wie lange nicht mehr, pranzt ohne Ende und schert sich noch immer nicht um Regeln oder moralische Werte. Die Beats dazu muss man sich in diesem Zusammenhang schon eher schön hören. Glücklicherweise sind sie doch nicht ganz so geleckt wie zunächst gedacht, etwas gewöhnungsbedürftig ist das ganze trotzdem. Zwischen an Frank Ocean erinnernden und ziemlich deutlich von den Death Grips abgekupferten Instrumentals ist Cherry Bomb reichlich gefüllt mit kuriosen Dingen. Erst nach häufigem Hören findet man das einigermaßen normal. Allerdings erkennt man dann auch ganz plötzlich, dass es keinen einzigen schlechten Track hier gibt und im Kontext alles, sogar das schlimme Deathcamp-Sample, ganz gut passt. Sogar einige Highlights kristallisieren sich mit der Zeit heraus. So ist der Closer Ogaka, CA Tylers bisher vielleicht beste Ballade, Kanye West ist auf Smuckers gar nicht so übel, mit Kali Uchis wird hier ein unentdecktes Talent gefeatured und Blow My Load, der erste Song über Cara Delevigne, war ja mal sowas von überfällig. Über kurz oder lang ist dadurch ein Album, von dem ich entschlossen war, es zu hassen, zu einem großartigen Dokument einer stilistischen Neuorientierung. Cherry Bomb ist Odd Future 2.0, und Odd Future 2.0 ist verdammt cool. Aus der Asche der miesen letzten Jahre steigt mit diesem Album der Phoenix Tyler, the Creator. Und der hat allem Anschein nach wieder großen Hunger. Ich weiß nicht, ob es schon wieder so weit ist, dass ich diesem Typen absolut alles zutraue. Aber er ist definitiv wieder gefährlich.
9/11

Beste Songs: Find Your Wings / Fucking Young / Smuckers / Ogaka, CA

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu I Don't Like Shit, I Don't Go Outside (Earl Sweatshirt):
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Review zu Madvillainy (Madvillain):
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