Montag, 6. April 2015

Süßes Gift

OZY
Distant Present
Nothing66
2015















Letztes Jahr war bei mir das Jahr des Ambient. Die ganze Sache mit Aphex Twin und jede Menge neue Künstler mit grandiosen Platten weiteten mein Bewusstsein gegenüber dem stillsten aller Genres wie nie zuvor und am Ende des Jahres standen jede Menge gute Alben in der Bestenliste. Das so eine Flut an qualitativ hochwertigem Material in einer so angenehm wenig auf Hype gepolten Szene herrscht, ist aber die Ausnahme. Sensationen wie die Tiny Isles oder David Andree lassen 2015 bisher ziemlich auf sich warten. Das liegt mitunter auch daran, dass ich nach so einer fetten Phase erstmal gesättigt war und vorerst nicht um jeden Preis neue Schätze heben wollte. Wenn sie einem jedoch in den Schoß fallen, sollte man sie trotzdem nicht verstoßen. Wie zum Beispiel das neue Album von Ozy, einem jungen Produzenten aus Island. Mit richtigem Namen heißt dieser Örnólfur Thorlacius und macht auf diesen zwölf Tracks fluffigen, ambienten Electronica mit Versatzstücken aus Glitch-Step, Dub, Minimal und House. Stilistisch folgt er damit dem großen Zug der Leute, die zu viel Thom Yorke und Boards of Canada gehört haben und eigentlich das Gift der elektronischen Musik sind. Dennoch hört man sich die frühlingshaften Mixes von ihm sehr schnell schön und verfrachtet sich sehr schnell in den Anti-Schwerkraft-Modus, der Distant Present weitestgehend beherrscht. Ozy schlägt in Songs wie Clockage oder Gin and (Bi/T)onic wurderbar Haken zwischen ungezwungener Club-Atmosphähre und sphärischen Ambient-Sounds, wobei keiner der beiden Stile dem anderen in die Parade fährt. Pluspunkte verdient sich die Platte durch den gekonnten Einsatz von Samples, den Thorlacius definitiv bei Aphex Twin abgeschaut hat. Auch hier wirken sie genau dort, wo immer ein Beat akzentuiert gehört oder eine Fläche noch etwas mehr geerdet werden muss. Und so braucht es meistens keine fünftausend Sound-Schichten, um die Klänge hier wirken zu lassen. Minimalismus ist es am Ende trotzdem nicht, dafür hat Ozy zu große Pop-Ambitionen. Gerade ein Song wie Dis-en-gaged, der fast im Minimal Electro angesiedelt ist, verrät, was für ein Hit-Potenzial hier mitunter drin steckt. Distant Present ist kein entrücktes Kunstprodukt, wenn man es nicht als solches sieht. Zwar ist es noch ein weiter weg, bis man zu diesen Tracks tanzen könnte, doch als progressives Klangtapeten-Material ist vieles hier überqualifiziert. Und am Ende ist Ozy vor allem Futter für meinen kleinen Ambient-Schweinehund. Der Anfang ist damit gemacht.
8/11

Beste Songs: Gin and (Bi/T)onic (Reprise) / Dis-en-Gaged / Black to the Future (College Drop Remix)

Nicht mein Fall: Drama Club (Miles Method Remix)

Weiterleitung:
Review zu the Long Seasoned Sleep (Tiny Isles):
zum Review

Review zu Syro (Aphex Twin):
zum Review

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