Dienstag, 7. April 2015

Friss das, Kendrick Lamar!

YOUNG FATHERS
White Men Are Black Men, Too
Big Dada
2015















Ich wusste diesmal von Anfang an, dass das hier nicht leicht wird. Young Fathers haben uns mit ihrem zweiten Album einen ganz schönen Happen vorgesetzt. Nicht nur musste in einem Disclaimer erst der Plattentitel auseinander genommen werden (wodurch mal wieder klar wurde, wie politisch versiert diese Band eigentlich ist), auch die Musik auf White Men Are Black Men, Too ist eine Herausforderung mit Understatement. Wo die Schotten letztes Jahr noch poppige Hooks mit Weltmusik-Noise und Rebellen-Image unterfütterten, steht diesmal der totale Kollaps auf dem Programm. Auf Longplayer Nummer 2 gibt es keine Hits mehr. Young Fathers erobern mit jeder Mange Krawall den R'n'B und Soul. Das vielleicht auffälligste an White Men... ist, dass kaum noch richtig gerappt wird. Würde ich die Platte nicht mit meinem Hintergrundwissen hören, dächte ich, hier würde sich eine Popband an ein wenig HipHop versuchen und nicht andersherum. Die Einflüsse hier sind noch da, doch wird hier so weit über den Tellerrand hinaus geblickt, dass man den Teller kaum noch sieht. Die Lyrics hier sind extrem zusammengekürzt, weil eigentlich sowieso nur noch Hooks gesungen werden, die deftigen Ansagen bleiben aber im Stil eines MCs. Diese Symbiose macht White Men... zum musikalischen Sonderling. Auch musikalisch geht hier vieles anders zu als auf dem Debüt Dead: Das Songwriting ist weniger komprimiert und catchy, manche Tracks ähneln sogar fast Sound-Collagen. Stilistisch sind diese nicht selten eine wahre Schatzkiste: HipHop- und Pop-Elemente treffen hier auf afrikanische Rhythmik, Elektro-Gefrickel und Punk-Energie, teilweise nimmt das ganze auch einen Abstecher in Richtung Avantgarde. Spielereien wie das Chris-Mount-Keyboard in Rain Or Shine oder die Glöckchen in Sirens machen das Erlebnis besonders besonders. Der komplette erste Teil dieser LP klingt absolut fantastisch. Es darf jedoch auch nicht verschwiegen werden, dass einige der vielen Experimente ziemlich schief gehen. Wenn in Liberated beispielsweise sakraler Gospel-Gesang auf das LoFi-Piano trifft oder in Nest doch etwas zu viel Zucker auf die Produktion gestreut wird, will man lieber schnell etwas anderes hören. Dass hier peinliche Momente entstehen, ist bei einer Platte, die so viele Risiken eingeht, aber auch nur logisch. Und im großen und ganzen profitiert White Men... vom Mut seiner Macher. Am Anfang fehlten mir hier die groß angelegten Hooks und der Pop-Appeal des Vorgängers, doch Young Fathers füllen diese Lücke hier mit so vielen Dingen, dass man absolut nicht meckern kann. Und mittlerweile stellt es sich als Vorteil heraus, dass diese Band sich unabhängig vom Rest der HipHop-Welt in ihrer eigenen Kreativzelle in Schottland reifen konnten. Denn sonst hätte sich ihr unglaublich originärer, frischer Sound vielleicht gar nicht entwickelt und wir hätten nur einen weiteren Black-Music-Act unter vielen. Stattdessen finden wir auf diesem Album eine originelle Form afroeuropäischer Popkultur wieder, die auch den Klang dieser Band politisch wertvoll macht. Wer es noch immer nicht versteht, wirft einfach noch mal einen Blick auf den Titel. Jetzt kapiert? Alles Klar.
9/11

Beste Songs: Shame / 27 / Rain Or Shine / Sirens / Dare Me

Nicht mein Fall: Nest / Liberated

Weiterlesen:
Review zu To Pimp A Butterfly (Kendrick Lamar):
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Review zum (immer noch ein Stück besseren) Dead (Young Fathers):
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