Sonntag, 19. April 2015

Perfect Storm

OISEAUX-TEMPÊTE
Ütopiya?
Sub Rosa
2015















Auch ohne Ütopiya wären Oiseaux-Tempête schon eine sehr gute Postrock-Band gewesen, doch mit Ütopiya sind sie jetzt definitiv etwas besonderes. Dabei reden wir hier gerade mal von der zweiten Platte der Pariser, die schon vor zwei Jahren mit sehr ambitionierten instrumentalen Kompositionen aufwarten konnten, sodass vorsichtige Vergleiche mit Godspeed You! Black Emperor nicht übertrieben waren. Die Franzosen mochten ihre Gitarrenwände düster, verließen sich dabei nicht immer auf das Reißbrett-Konzept des Genre-Konsens und fügten auch visuelle Elemente als festen Teil der Bühnenshow ein. Das selbstbetitelte Debüt von Oiseaux-Tempête war damit schon ziemlich deftig, verstand sich aber auch noch immer als klassisches Postrock-Werk und hatte am Ende doch zu wenige Alleinstellungsmerkmale, um wirklich mehr zu sein als das. Mit Ütopiya wird das wahrscheinlich keiner mehr über die Jungs sagen können, denn hier steckt definitiv eine größere Vision dahinter. Schon die Länge von insgesamt 76 Minuten ist für so eine junge Band ziemlich imposant und auch die Instrumentierung hier kann sich echt sehen lassen. Mit Violine, Mellotron, Saxofon und Klarinette im Gepäck erweitern Oiseaux-Tempête ihr klangliches Spektrum um ein Vielfaches und zeigen auch eine bisher nie gehörte Virtuosität in ihren Songs. Mit G.W. Sok (der klingt wie Lou Reed) als Gastsänger auf dem Titeltrack und Living On wagt sich die LP sogar in die Tabuzone des Genres. Und obwohl auch diese Platte mit beiden Füßen im Postrock stehen bleibt, kann man als Marschrichtung hier doch eindeutig Jazz erkennen. Unten brummt in den meisten Tracks noch der Bass und baut die Raketenbasis für den nächsten Breakdown auf, während oben in wilder Disharmonie ein Saxofon seine Impros in den Klangraum gniedelt. Ebenfalls nicht unerwähnt bleiben darf hier der meisterhafte Umgang mit diversen Sampling-Techniken. Mit dieser Kombination gelingt es Oiseaux-Tempête hier, eben das Alleinstellungsmerkmal zu kreieren, welches ihnen auf dem Debüt fehlte. Natürlich erinnern die Franzosen auch hier noch an andere, größere Bands. Doch diese Vergleiche beim Namen zu nennen, zeichnet ein Album wie dieses eigentlich nur noch mehr aus. Wenn ich sage, dass mich Ütopiya an Levez Vous Skinny Fists Comme Antennas to Heaven von Godspeed, diverse Platten von Swans und besonders the Death Defying Unicorn von Motorpsycho erinnert hat, dann meine ich das als großes Lob. Wenige Künstler schaffen es, solch imposante Platten zu kreieren. Vor allem so junge Künstler. Auf so ein Ding können die echt stolz sein. Das hier ist nämlich genau nicht der alltägliche Kram, den dieses Genre am Fließband produziert. Das hier ist ein kleines Meisterwerk. Track für Track. Moment für Moment. Detail für Detail. Es ist vielleicht nicht die Zukunft des Postrock, aber auch ein deutlicher Beweis dafür, dass hier noch was geht. Dass wahre Größe in dieser Bewegung noch möglich ist. Und natürlich ein Riesenhallo für die Musiker selbst. Oiseaux-Tempête faszinieren hier auf ganzer Linie und leisten sich nicht einen noch so kleinen Fauxpas. Und die Ambitionen, die sich auf dem Debüt noch schüchtern in den Hintergrund drängten, strahlen hier über alles hinaus. Ütopiya ist also in allen Dingen ein großes Album. Und die Band dahinter kann sich von nun an zu meinen neuen Genre-Favoriten zählen. Und ihrem Namen machen sie hiermit auch endlich alle Ehre.
9/11

Beste Songs: Fortune Teller / Soudain le Ciel / Palindrome Series

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Asunder, Sweet and Other Distress (Godspeed You! Black Emperor):
zum Review

Review zu To Be Kind (Swans):
zum Review

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