Dienstag, 21. April 2015

Top 5: Archetyp

Es ist eine furchtbar schwierige Sache mit diesem Album. The Ark Work, die dritte Platte der New Yorker Metal-Freigeister Liturgy, ist vielleicht das am schwierigsten Konumierbare Dokument an Musik, das in diesem Jahr bisher erschienen ist. Ich selbst finde das Album großartig, allerdings habe ich auch sehr lange mit mir gerungen und jeden Song wieder und wieder anhören müssen. Auch nachdem ich bereits die ziemlich hohe Punktzahl vergeben hatte, die ich trotz der eher mäßigen Resonanz in anderen Blogs noch immer verteidige. Allerdings habe ich mich gefragt, was dieses Album tatsächlich auch für mich ausmacht und habe infolgedessen eine Liste erstellt, die dem ein oder anderen vielleicht hilft, die Platte mal aus einem anderen Blickwinkel zu sehen und meinen Standpunkt besser nachvollziehen zu können. Hier ist "How to enjoy the Ark Work. Bitteschön:

1. Man darf Liturgy nicht länger als Metalband verstehen
Wenn es etwas gibt, was Liturgy auf diesem neuen Album meisterlich verstehen, dann ist es das Zusammenfügen verschiedenster Musikrichtungen. Es ist keine Neuigkeit, dass die New Yorker in der traditionellen Black-Metal-Szene seit langem mit Verachtung gestraft werden. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sie sich komplett davon emanzipieren. Natürlich war auch ich am Anfang skeptisch, als es hieß, dass HipHop und Electronica ganz wesentlich in die Kompositionen hier eingeflossen wären. Und vor dem Hintergrund der ersten beiden Alben ist es sicherlich schwierig, ein etwas fluffigeres neues Werk mit offenen Armen anzunehmen. Aber Liturgy haben mich nicht enttäuscht. Gitarren und Synthesizer gehen hier eine funktionierende Symbiose ein, die Band ist in allem unglaublich kreativ und an Hunter Hunt-Hendrix ist doch tatsächlich ein MC verloren gegangen. Wer dennoch Einstiegshilfe braucht, sollte sich vorher vielleicht mal ein paar andere Stilrichtungen anhören. Death Grips, Vaporwave oder Glitch-Step sind heiße Tips, aber auch Alte Musik oder Johann Sebastian Bach sind nicht der falsche Ansatz. Nur von bloßem Metal sollte man hier nicht ausgehen.

2. Erwarte das Unerwartete
Man muss nicht viel über Liturgy wissen, um zu dem Schluss zu kommen, dass hier ziemlich elitärer Kram gemacht wird. Und das liegt nur in der Natur der Dinge. Alle Mitglieder der Formation sind in der New Yorker Kunst-Szene zu Hause und ein gewisser Hang zur Avantgarde gehört dort nun mal zum guten Ton. Sänger Hendrix ist Hobby-Philiosoph und Musiktheoretiker, Drummer Greg Fox spielt in der experimentellen Rockband Zs. Infolge dessen ist the Ark Work eine der experimentellsten und quirligsten Rock-Platten der letzten Jahre geworden. Wer einfach nur ein paar gute Songs hören will und nach Easy Listening sucht, dem wird das hier zu viel sein. Liturgy haben extrem viel Arbeit in diesen Logplayer gesteckt und entsprechend ambitioniert klingt er dann auch. Außerdem testet die Band hier wieder mal ihre Grenzen aus: Mantra-artiges Riffing, Glitch-Cuts, der extrem dichte und hyperaktive Schlagzeug-Sound, das alles sind Anzeichen für Musik, die unter keinen Umständen den einfachen Weg geht. Andererseits beweist solches Vorgehen auch immensen Weitblick. Liturgy sind Künstler und jeder soll es wissen.

3. Das Konzept verstehen
Das, was die meisten Leute am Vorgänger Aesthetica aufregte, war sein theoretischer Überbau und der Status, den sich die Band selbst zuschrieb. Was in Hendrix' theoretischer Abhandlung Transcendental Black Metal geschrieben stand, ist sicherlich höchst diskutabel. Allerdings braucht es auch ein Grundverständnis dieser Gedankengänge, um the Ark Work richtig auf sich wirken zu lassen. Denn hier ziehen sich die Musiker klanglich wie textlich noch weiter in diese Welt zurück und dem Laien fällt es mitunter schwer, dieser kruden Fantasie zu folgen. Als jemand, der Hendrix' Philosophie mit Interesse verfolgt hat, kann ich sagen, dass die Platte mit Insider-Wissen mehr Spaß macht. Die Wiederkehr des Burst-Beat oder die Inhalte der Raps sind Fan-Service für Hardcore-Nerds, die das große Ganze verstehen wollen. Und so wie es aussieht, bin ich spätestens jetzt einer davon. No regrets.

4. #Aesthetica
Es ist schwierig nachzuvollziehen, wie die Idee des Sounds auf the Ark Work funktioniert, ganz einfach weil dieser Sound vorher so nie existiert hat. Liturgy finden auf diesem Album ein völlig neues Konzept, welches in Hinblick auf die Ästhetik für manche schwer zu verdauen sein wird. Hendrix wollte mit seinem klanglichen Bild verschiedene musikalische Epochen verknüpfen, was beispielsweise erklärt, warum das Intro Fanfare komplett von Synthesizern getragen wird oder der Sänger rappt wie ein gregorianischer Mönch. Das einige diese absichtlich eingefügten Elemente mit billigen Effekten oder mangelnden Fähigkeiten verwechseln, ist aber ebenfalls verständlich. Und auch für mich hat es gedauert, sich an alles zu gewöhnen. Wie gesagt, in dieser Kombination hat es das klanglich noch nie gegeben. Doch sobald sich die Normalität wieder eingestellt hat, ist der Sound eine der größten Stärken auf diesem Album. Ich würde mich freuen, wenn Liturgy diesen auch weiterhin verfolgen, auch wenn ich glaube, dass er nur bei ihnen nicht total beschissen klingt.

5. Liturgy gehen den nächsten Schritt
Es gibt wahrscheinlich viele Leute, die the Ark Work sehr gerne als direkten Nachfolger zu Aesthetica gehört hätten. Dieses Album ist es aber nicht geworden. Die Band dahinter hat sich in den Jahren zwischen den Platten so stark entwickelt, dass man ihr jetziges Schaffen komplett unabhängig von dem der Frühphase betrachten muss. Liturgy haben keinen einheitlichen Stil, der sich über mehrere Longplayer zieht, sondern erschaffen sich jedes Mal selbst neu. Und dass sie jetzt komplett anders klingen als noch 2011, daran muss man sich erst gewöhnen. Das hat auch bei mir eine Weile gedauert. Aber wenn man the Ark Work als souveränes Einzelwerk sieht, kann das viel ausmachen. Dass ich Aesthetica noch immer einen Ticken besser finde, hat es allerdings nicht geändert.

Weiterlesen:
Review zu the Ark Work:
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