Sonntag, 5. April 2015

Das Wort zum Sonntag: leichter Wellengang

Und plötzlich war alles türkis. Einige Facebook-Seiten von namhaften Künstlern änderten in der letzten Woche ihr Design in dieser minimalistischen Art und Weise, wie hier oben am Beispiel von Beyoncé zu sehen ist. Zunächst wunderte man sich, doch dann wurde die ganze Sache aufgeklärt. Die ungewöhnliche Online-Deko war eine Werbekampagne für den wenige Tage später von der Bühne gehenden Launch von Tidal, dem neuen Konkurrenten unter den Streaming-Plattformen. Mit einer pompösen Pressekonferenz, bei der sich neben Gründer Jay-Z auch so genannte "Co-Owner" wie Madonna, Beyoncé, Nicki Minaj, Jack White, Kanye West, the Arcade Fire oder Daft Punk die Klinke in die Hand drückten, wurde das Ganze vor ein paar Tagen eröffnet. Dabei wurde viel über die neue Form, Musik zu hören, geredet und es klang ganz so, als wäre Tidal die Revolution des Streaming. Wie selbstverständlich wurde dabei die Zukunft des Musikbusiness vorausgesagt und große Worte geschwungen. Fast inflationär fielen dabei die Begriffe "Künstler" und "User", die den Zusammenhalt von beidem Beschwören sollten. Dass die Idee für die Plattform aus der allgemeinen Liebe zur Musik entstanden wäre, dass diese Sache hier anders wäre als Spotify und Konsorten und dass alles ja ganz furchtbar ehrlich gemeint ist. Wer also wirklich etwas über Tidal erfahren will, kann sich diese Konferenz sparen. Die große Publicity-Bugwelle, die der Eröffnung vorausging, war ein schöner PR-Schachzug, sagt aber nichts über das Portal im eigentlichen aus. Wenn man die Fakten erstmal auf dem Tisch hat, sieht nämlich schon einiges anders aus. Dass Streaming hier auf einer anderen Ebene stattfindet als bei Konkurrenzunternehmen, kann man erstmal so stehenlassen. Tidal ist zum ersten kostenpflichtig, wahlweise kann man für zehn Dollar die Standardvariante buchen oder sich für den doppelten Preis die HiFi-Variante gönnen. Beide Möglichkeiten bieten dabei qualitativ bessere klangliche Qualität als viele andere Anbieter. Offiziell ist von einem Sound die Rede, der dem von CDs entspricht. Für mich persönlich kein schlechter Anfang. Ferner wird bei Abschluss eines Abos jede Menge Bonusmaterial exklusiv angeboten. Wie genau dieses aussieht, wurde jedoch noch nicht präzisiert. Doch erste Veröffentlichungen von Nicki Minaj und Beyoncé sind bereits eingegangen. Dass sich Tidal dabei als eine Musikplattform für die breite Masse versteht, ist etwas unlogisch. Denn nach dem, was tatsächlich angeboten wird, klingt das ganze eher ziemlich geeky. Otto Normalverbraucher streamt zwar Songs, doch interessiert er sich dabei meist weder für die Qualität des Klangs noch für irgendwelche zusätzlichen Inhalte. Ihm ist es eher wichtig, dass er möglichst wenig zahlt und uneingeschränkten Zugriff auf Alben hat. Voraussetzungen, die Tidal nicht bietet. Wie die Gründer in ihren pathetischen Kurzfilmen schon so schön sagen ist dieses Portal eher etwas für Liebhaber. Die happigen Preise sind eher etwas für Kunden, die an Feinheiten interessiert sind und auch Hintergründe beleuchten wollen. Für Flac-Nerds und Hörer mit Forschergeist wird hier definitiv mehr geboten als für den Verbraucher, der schnell mal seinen Lieblingssong hören will. Und die Zukunft des Streaming wird Tidal damit wohl eher weniger. Was nicht heißt, dass hier für den wohlwollenden Feingeist nichts geboten würde. Als exklusive Plattform finde ich die Idee nicht schlecht. Wer weiß, vielleicht gibt es wirklich bald Hörer, die snobistisch auf das barbarische Spotify-Publikum herabblickt, dass sich noch immer mit muffigen MP3-Dateien begnügt. Ich persönlich werde mir allerdings kein solches Abo zulegen. Ich habe einfach nicht das Gefühl, dass ich diese Art von Upgrade benötige. Und da für uns Normalsterbliche trotzdem noch das reguläre Pensum an Material bleibt, verpasse ich trotzdem nichts. Die Musikwelt wird sich auch mit Tidal genau so weiterdrehen wie bisher, doch vielleicht gibt es darin jetzt eine neue gemütliche Ecke, in der sich die Schöngeister tummeln. Diese Vorstellung gefällt bestimmt auch Jay-Z.

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