Dienstag, 29. Januar 2019

Wer zuletzt lacht




















[ emorockig | synthetisch | melodisch | kitschig ]

Ich würde lügen, würde ich behaupten, Amo wäre nicht die Platte, auf die ich im Januar 2019 am meisten gespannt war. Schon die Verschiebung der Veröffentlichung vom 11.1. auf den letzten Freitag machte mich in den vergangenen Wochen ziemlich hibbelig und die Tatsache, dass auch die Presse diesmal ihren Teil zur Vorfreude beitrug, machte die Sache nicht unbedingt besser. Die Frage, was Bring Me the Horizon mit ihrem sechsten Longplayer anstellen würden, trieb mich zuletzt mehr um als alles, was Dendemann, Weezer und Tool zusammen fabrizierten. Die eigentliche Frage für mich sollte aber lauten: Warum ausgerechnet jetzt? Was bringt ausgerechnet mich, den Typen, der vor drei Jahren über That's the Spirit noch eine äußerst herablassende Fake-Besprechung schrieb, dazu, sich ganz plötzlich auf eine LP dieser von ihm einst verlachten Band zu freuen? Um die Antwort darauf zu finden, muss man einige Jahre zurückgehen und erstmal die Frage stellen, was die Briten zuletzt überhaupt so lächerlich machte. Und so richtig beginnt diese Geschichte für mich 2013 auf Sempiternal. Bring Me the Horizon waren damals an einem Punkt, an dem der provokante Boyband-Deathcore ihrer Frühphase, den ich mit 13 Jahren so geil fand, langsam ein bisschen langweilig wurde und es so aussah, als würde die Gruppe ihren Status als Trendsetter in der Szene irgendwie einbüßen. Jenes vierte Album war seinerzeit eine Reaktion auf diese Entwicklung, die von der Band als klangliche Revolution verkauft wurde, sich nach Veröffentlichung aber als ihr bis dato ödester Longplayer entpuppte. Die Briten versuchten darauf, so krampfhaft provokant zu sein, dass sie sich im Zuge dessen an haufenweise billige Trends ranschmissen und plötzlich fast mehr nach einer Core-Coverband von Linkin Park klangen als nach sich selbst. In Zusammenhang mit ihrer gewollten Edgyness und der konsequenten Selbstüberschätzung wurden sie damit Stück für Stück zu einer Parodie ihrer selbst, die man beim besten Willen nicht mehr ernst nehmen konnte. Weshalb ich spätestens bei That's the Spirit auch nicht mehr anders reagieren konnte als mit Spott. An meinem Interesse für ihren Output und der Hoffnung, dass sie es irgendwann doch noch schaffen würden, tatsächlich progressiv zu sein, änderte das jedoch nichts. Denn trotz der wiederholt fürchterlichen Umsetzung erlebte ich bei Bring Me the Horizon stets das richtige Mindset dafür. In ihrer ausgedehnten Karriere probierten sie immer wieder neue Dinge aus, versteckten sich nie hinter einer gewissen Szene-verordneten Realness und hatten vor allem keine Angst davor, damit auch die eigenen Fans zu verschrecken. Ein Mut, aus dem schon immer große Musik gemacht ist. Und mit Amo kommt nun auch endlich die Platte, auf der dieser Mut tatsächlich Resultate abwirft. Eine Entwicklung, die man diesmal auch Meilen gegen den Wind riechen konnte. Mantra war im Dezember 2018 seit Jahren mal wieder eine wirklich starke Single der Briten und spätestens mit der Ankündigung, dass unter anderem Grimes und Roots-MC Rahzel hier als Gäste auftreten würden, hatte ich eine Ahnung, dass Bring Me the Horizon diesmal den Finger gezogen hatten. Dabei macht Amo oberflächlich eigentlich wenig anders als seine Vorgänger. Den Weg zu Emo-Pop und Electronica, den die Band mit Sempiternal und That's the Spirit bereits geebnet hatte, geht sie hier nur konsequent zu Ende und vermischt dabei Nu Metal mit Emocore, R'n'B, Boyband-Momenten und Elektro. Klanglich ist das ganze entfernt vergleichbar mit der stilistischen Wandlung, die 2017 Enter Shikari auf the Spark durchmachten oder vermutlich auch mit dem, was uns auf einem neuen Grimes-Longplayer erwarten könnte. Für eine Band wie Bring Me the Horizon, die schon immer überall ihre Finger drin hatte und sich nie scheute, kitschig zu sein, eigentlich ein ahnbarer Move. Der wirkliche Unterschied ist aber, wie viel besser sie das alles diesmal anpacken. Die Produktion übernahmen wie schon beim Vorgänger, wieder Jordan Fish gemeinsam mit Sänger Oli Sykes, wobei letzterer diesmal selbst den Löwenanteil leistet und hier überraschend gute Arbeit abliefert. Sein deutlich poppigerer Sound ist wesentlich klarer als der von That's the Spirit und verleiht den fetten Hooks hier auch die richtige Breite, um in vollem Glanz zu wirken. Auch als Performer ist Oli Sykes hier wesentlich besser geworden, und während seine gesungenen Parts (Geschrei gibt es hier ehrlich gesagt kaum noch) zuvor immer etwas awkward wirkten, sind sie hier sehr inbrünstig und mit viel schmalzigem Emo-Pathos geschmiert. Dieses wiederum funktioniert nur deshalb so gut, weil Amo zweifelsohne die textlich bisher stärkste Platte der Briten geworden ist. Sykes beherrscht inzwischen einen gewissen schnippischen Sarkasmus, der in sich eigentlich eine Persiflage typischer Emo-Texte ist, aber großartig in die Ästhetik ihres neuen Sounds passt. Diese inhaltliche Stärke ist in meinen Augen die wahre Essenz der Qualität dieser LP und das Element, das am Ende wirklich den Unterschied zu seinen Vorgängern ausmacht. Sie sorgt dafür, dass Bring Me the Horizon diesmal nicht nur progressiv und aufreizend sein wollen, sondern es tatsächlich auch irgendwie sind. Auch wenn das heißt, dass sie hier schlussendlich noch größere Schmierlappen sind als jemals zuvor. Wenigstens sind sie jetzt wieder musikalisch interessant und reden nicht nur darüber. Insofern ist Amo tatsächlich das Album, das ich schon immer von ihnen hören wollte.


Klingt ein bisschen wie:
Enter Shikari
the Spark

the 1975
A Brief Inquiry Into Online Relationships


Persönliche Highlights: Mantra / In the Dark / Wonderful Life / Ouch / Medicine / Sugar Honey Ice & Tea / Why You Gotta Kick Me When I'm Down? / Mother Tongue / Heavy Metal / I Don't Know What to Say

Nicht mein Fall: I Apologise If You Feel Something

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