Mittwoch, 9. Januar 2019

Retro-Review: Schatzinsel





















[ mystisch | esoterisch | chillig | proto-psychedelisch ]


Achtung! Achtung! Ich möchte die etwas ruhigere Zeit zu Anfang des neuen Jahres noch einmal nutzen, um mich neben den aktuellen Besprechungen auch wieder mal einigen Herzensprojekten zu widmen, die in den letzten Jahren leider immer etwas zu kurz gekommen sind. Zum einen sind das ein paar Platten der letzten Saison, die ich aus diversen Gründen zum damaligen Zeitpunkt unterschlagen habe, zum anderen die Weiterführung der Serie über meine Lieblingssongs, die es zum letzten Mal 2016 gab, sowie die Rubrik des Retro-Reviews, die eigentlich immer ganz gut lief. Da ich mittlerweile selbst eine ganz schön umfangreiche Liste von alten Alben habe, über die ich gerne mal schreiben möchte, finde ich die Gelegenheit hier sehr schön. Es geht dabei wohlgemerkt nicht um "Klassiker", sondern um mir persönlich wichtige Tonträger, weshalb ganz bestimmt auch einige eher obskure Platten hier auftauchen werden. Diese hier ist gleich zu Anfang schon mal ein sehr gutes Beispiel dafür.

Der Grund, warum ich so unbedingt über das heutzutage fast vergessene einzige Album von Eden Ahbez schreiben möchte, ist der, dass dieser Typ in meinen Augen eine der wohl spannendsten Figuren der gesamten Pop-Historie ist, als solche jedoch kaum wahrgenommen wird. Das könnte zum einen daran liegen, dass seine Karriere als Musiker hauptsächlich als Songwriter für andere stattfand, sein eigenes Schaffen für damalige Umstände extrem skurril und avantgardistisch war, zum anderen sicherlich an Ahbez' höcht unkonventionellen und nonkonformistischen Lebensstil. Erfolgreich geworden war der Kalifornier durch den Song Nature Boy, den er 1947 für Nat King Cole schrieb und der unter damaligen Verhältnissen zu einer Art "One-Hit Wonder" avancierte. Als Folge daraus wurden auch andere Künstler*innen und vor allem die Labelchefs der Szene in Hollywood auf ihn aufmerksam, was ihm eine durchaus lukrative Position im lokalen Musikbusiness einbrachte. Als Persönlichkeit jedoch widersprach er diesem Bild des Erfolgsmenschen in so gut wie jeder Hinsicht: Trotz eines vermutlich nicht üblen Einkommens lebte er als Aussteiger ohne festen Wohnsitz und wenig Geld, verdingte sich als Straßenprediger und Beat-Poet, lebte streng vegetarisch (in den Fünfzigern noch ein ziemliches Unding) und interessierte sich für orientalische Mystik, asketische Lebensweise und alle möglichen spirituellen Richtungen. Zeigenoss*innen zufolge soll er konsequent barfuß gelaufen sein, zeitweise unter dem "L" des Hollywood-Schriftzuges kampiert haben und es abgelehnt haben, in seinem Namen mit Großbuchstaben zu verwenden. Selbst unter heutigen Verhältnissen wäre ein solcher Charakter in der Musikindustrie ein ziemlicher Freak, allerdings auch ein ziemlich visionärer: Mit seiner freigeistigen, spirituellen Attitüde, der entwurzelten Lebensweise, seinen Texten und nicht zuletzt seinem zauseligem Äußeren war Ahbez eine frühe Version dessen, was sich in Los Angeles zu Ende der Sechzigerjahre als Hippie-Bewegung herauskristallisierte, wobei er teilweise als direktes Abziehbild vorkommt. Vor allem Brian Wilson bezieht sich nicht selten auf seine Musik als Inspiration, es wird sogar spekuliert, Ahbez wäre mit den Beach Boys im Studio gewesen. Und woher diese Inspiration kommt, hört man in seiner Musik durchaus ein bisschen. Zwar gibt es zu Lebzeiten nur einen veröffentlichen Longplayer unter seinem Namen (erst in den letzten Jahren haben sich einige Fans die Mühe gemacht, Aufnahmen zu sichten und Stück für Stück zu veröffentlichen), doch auch wenn Eden's Island vielleicht keine umfassende Werkschau ist, so ist es doch ein erstaunliches Album. Denn es ist gleichermaßen ein klassisches Mainstream-Machwerk der frühen Sechziger und seiner Zeit doch unglaublich voraus. Die Basis bilden hier die damals populären und vielleicht schon etwas abgegriffenen Stile von Calypso, Cha Cha und Rumba, verbunden mit allerlei Einflüssen aus orientalischer Musik, Musical-Songs und verschiedenen Jazz-Genres, an sich also schon eine sehr exotische Angelegenheit. Über diese Grundlage performt Ahbez dann allerdings auch noch verschiedene Spoken Word-Stücke, nimmt Field Recordings auf, experimentiert mit Percussion und bringt vor allem diverse, teils selbstgebaute, Flöten ins Spiel, die hier sozusagen sein Hauptinstrument sind. Aus heutiger Sicht wirken all diese Elemente vielleicht recht konventionell, doch passt das Ergebnis gesamtklanglich definitiv in kein klassisches Bild der damaligen Pop-Landschaft und zur Zeit der Erscheinung galt diese LP definitiv als äußerst speziell und esoterisch. Was vor allem deshalb so toll ist, weil sie für die Hörgewohnheiten des 21. Jahrhunderts zwar sehr ansprechend klingt, aber trotzdem nichts von ihrer Eigenwilligkeit verloren hat. Inhaltlich kann man sich das ganze als eine Art experimentelles Hippie-Musical vorstellen, in dem Eden Ahbez die Geschichte des titelgebenden utopischen Inselparadieses erzählt. Wirklich deep sind seine Texte dabei nicht, man darf das aber auch nicht verwechseln: Seine Musik war nicht unbedingt das Medium, in dem er sich spirituell auslassen konnte, zumal wir hier vom Jahr 1960 reden und künstlerische Selbstbestimmung noch nicht wirklich die Regel war. Tatsächlich ist es erstaunlich, dass ein Label zu dieser Zeit Dinge wie the Old Boat oder La Mar abgesegnete. Auf der anderen Seite gibt es Tracks wie Eden's Cove und den Titelsong, die schon fast an psychedelische Zukunftsmusik erinnern, namentlich Sachen wie Donovans Atlantis oder Teile des Hair-Soundtracks. Stücke wie Mongoose und Banana Boy wiederum passen sehr gut in die damalige Auffassung von exotischer "Weltmusik". In seinen gerade Mal 30 Minuten grast Eden's Island eine ganze Menge musikalische Stationen ab, die fast 60 Jahre danach noch ein ganzes Stück interessanter sind als vermutlich damals. Und natürlich ist das hier kein so schickes, intelligentes und zeitloses Album wie ein Sketches of Spain von Miles Davis oder ein Giant Steps von Coltrane (die beide im selben Jahr erschienen), doch in meinen Augen ist es als klangliches Dokument unglaublich spannend. Nicht nur, weil es eine absolute Anomalie der damaligen Pop-Landschaft ist, sondern auch, weil es wegweisend war, ohne jemals eine wirkliche Öffentlichkeit als Impulsgeber gehabt zu haben. Deshalb wollte ich gerade über diese LP schreiben: Weil sie, ebenso wie ihr Schöpfer, ein wirklich verstecktes Kleinod der Musikgeschichte ist, das vielleicht kein Klassiker ist, aber etwas, von dem ich einfach total froh bin, dass es existiert.


Klingt ein bisschen wie:
Harry Belafonte-Calypso
Goat-Requiem


Persönliche Highlights: the Wanderer / Eden's Island / Myna Bird / Eden's Cove / Market Place / Banana Boy / La Mar

Nicht mein Fall: the Old Boat

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