Samstag, 12. Januar 2019

Songs für die Ewigkeit: Er schnitt Löcher in den Amp




















Wenn es darum geht, wo die Wurzeln von musikalischen Stilrichtungen wie Punk und Metal liegen, findet man immer wieder Anhaltspunkte, die sich noch weit früher zurückdatieren lassen als zu den üblichen Verdächtigen wie den Stooges, Black Sabbath und Velvet Underground. Die die Entstehung aggressiver, antiautoritärer Gitarrenmusik bis weit in die Fünfziger und Sechziger hinein beweisbar machen und die klarstellen, dass vieles davon in einem breiteren kulturellen Kontext stattfand als ursprünglich vermutet. Viel mehr als den gesuchten Zeitpunkt des großen Urknalls der Rockmusik zeigt dieses Phänomen nämlich auf, dass es selbigen Urknall eigentlich nie gegeben hat. So seltsam es auch klingen mag, aber gerade jene so unverbrauchte Anti-Establishment-Welle der frühen Siebziger speist sich aus einer riesigen Masse an Tradition aus Rock'n'Roll und Blues, die ihrerseits eine ganz eigene Entwicklungsgeschichte hat. Zu sagen, Link Wray hätte den Punkrock erfunden, ist deshalb genau so falsch, wie seine Verbindung dazu komplett zu negieren. Die wahre Geschichte liegt irgendwo dazwischen. Mit Sicherheit lässt sich aber sagen: Ohne einen kleinen Song namens Rumble würde Rockmusik heute sicher ganz anders klingen. Und ich finde nicht, dass das eine Übertreibung ist. Mit diesem gerade Mal zweiminütigen, gänzlich instrumentalen Stück hat sein Schöpfer nicht nur zwei der wesentlichsten Techniken der modernen Gitarrenmusik eingeführt, er prägte auch eine Attitüde. Das hier ist Rock'n'Roll als Abziehbild, man muss es nur erstmal erkennen. Wie groß die kulturelle Tragweite von Rumble tatsächlich ist, wusste ich lange Zeit auch nicht. Ich kannte den Track aus der Milchbar-Szene in Pulp Fiction und weil Death Grips ihn mal gesamplet hatten, aber einen Bezug dazu hatte ich nicht wirklich. Ich wusste, dass es ein guter Song war, weil er ein starkes Gitarrenriff hatte. Dass es aber der Prototyp unseres heutigen Verständnisses von einem Gitarrenriff war, war mir nicht bekannt. Das letzteres so ist, liegt sicherlich daran, dass Link Wray für einen Gitarristen der damaligen Zeit erstaunlich experimentell und unbequem war. Die Ästhetik seines gesamten Oeuvres ist von dem Versuch geprägt, der klischeebehaftenen frühen Rock'n'Roll-Bewegung um Elvis Presley und Buddy Holly einen dreckigen und ungepflegten Sound entgegenzustellen, was ihn ständig zu neuen Kompositionsansätzen anregte. In Rumble, der Krone dieser Schöpfung, gelingt ihm dabei sein großer Geniestreich. Der Hauptkorpus des Songwritings hier bilden drei relativ Simple Akkorde, die regelmäßig wiederholt und abgewandelt werden und die Basis für das bilden, was die Musikwelt inzwischen als Powerchords kennt. In ihrer Simplizität erinnern sie damit klanglich an einen Vorläufer dessen, was zehn Jahre später von Bands wie den Stooges oder MC5 gespielt werden sollte. Diese Einfachheit ist hier aber lediglich die kompositorische Basis. Auf seiner Suche nach einem möglichst unbequemen Sound wurde Link Wray auch zu einem der ersten Gear-Nerds, der klangliche Neuerungen auch durch die Manipulation von Instrumenten und Verstärkern zu erreichen versuchte. Was dabei heutzutage mit teuren und filigranen Effektgeräten fabriziert wird, schaffte er damals mit ein paar Löchern in der Verstärkermembran: Den ersten Distortion-Effekt der Rockgeschichte. Was hier noch ein sehr roher und subtiler Prototyp ist, schafft genau die Atmosphäre, die Rumble zu mehr macht als einem gewöhnlichen Blues-Jam. Und es erzielte seine Wirkung: Als einziger instrumentaler Song überhaupt wurde es nach seiner Veröffentlichung in den USA aus dem Radio verbannt, da man befürchtete, der derbe und grantige Sound der Platte hätte eine zu 'aufrührerische' Wirkung auf das junge Publikum. Obwohl das nicht passierte, wurde der Track später zum Impulsgeber für die jungen Wilden der ersten Hardrock- und Punk-Generation. Jimmy Page nannte ihn einmal als den Grund, warum er anfing, Gitarre zu spielen und was er für die Technik der Instrumentalist*innen sowie die Weiterentwicklung von Verstärker-Hardware bedeutet, sollte selbsterklärend sein. Rumble ist der Wegbereiter für eine neue Definition von lauter Musik und eine Sternstunde rebellischer Attitüde in der Rockgeschichte. Und das, obwohl hier nicht eine Zeile gesungen wird. Rückblickend ist derjenige, der von diesem Song am wenigsten profitiert, letztendlich Link Wray selbst. Bis zu seinem Tod im Jahr 2005 bleibt die Single ein geisterhaftes One Hit Wonder, noch dazu eines, das selten im Radio gespielt wird. An den Erfolg anzuschließen, gelingt Wray trotz einer langen Karriere als Szene-Veteran nicht. Posthum wird dem Songwriter einstimmig die Anerkennung als Pionier des modernen Gitarrenrock zuteil, ohne den Leute wie Jimi Hendrix, Jack White oder Pete Townsend vielleicht nie zu ihrem Stil gefunden hätten, ganz zu schweigen von seiner Verwendung in diversen Kino-Soundtracks. Was vom eigentlichen Song bleibt, ist ein zweiminütiges Stück Popgeschichte und ein Sound, der mit über 60 Jahren auf dem Buckel noch immer frisch und gefährlich wirkt. Eine Anomalie des Rock'n'Roll der Fünfziger, der genau deshalb in Erinnerung bleibt, weil er nicht wirklich in seine Zeit passt.

Hier ist das gute Stück:
zum Song



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