Freitag, 1. Oktober 2021

Hol dir die Krumen

Dÿse - Widergeburt DŸSE
Widergeburt
Cargo
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ holzig | brachial | rotzig ] 

Wenn man mich persönlich fragt, dann sind Dÿse aus Berlin bereits seit weit über zehn Jahren eine der konzeptuell spannendsten Rockbands Deutschlands, der definitiv riesengroße Beachtung gehört. Sowohl als Vordenker einer Version von Stoner/Hard/Noiserock, die keine Angst vor Texten in Landessprache hat, als auch als technisch verquere Experimentalmusiker, die trotzdem höllisch eingängige Songs schreiben sowie als unfassbar energische Liveband ist das Duo aus Andi Dietrich und Jari Rebelein in jeder Hinsicht ein Unikat in der europäischen Popszene, das auf seine Weise mit wenigem um sie herum zu vergleichen ist. Dass ich diese Einzigartigkeit im Rahmen dieses Formats so selten würdigte, liegt aber vor allem daran, wie spärlich der Output der Berliner bis heute gesät ist. Seit ihrer Gründung 2003 gibt es von ihnen je nach Zählweise zwei oder drei richtige Longplayer, einige EPs und Splits und eine 2016 veröffentlichte Singlekollektion, viel mehr aber auch nicht. Und besonders im Vorfeld von Widergeburt kam mir das Warten nicht selten lang vor. Sieben Jahre ist ihre letzte LP Das Nation inzwischen her, die zudem auch das erste richtige Highlight ihrer Diskografie war, das den lang angedeuteten ästhetischen Gedanken dieser Gruppe erst so richtig ausformulierte. Nach vielen sehr ungaren und seltsam verschraubten Platten in ihrer Frühphase schafften es Dÿse hier, ein ungemein verqueres und polyperspektivisch-verkunstetes Avantgarde-Epos herzustellen, das gleichzeitig auch ein verboten eingängiges Rock'n'Roll-Brett voller Hits war. Ein Kunststück, das ich auf Widergeburt im Idealfall gerne wiederholt oder gar verbessert gesehen hätte. Die lange Aufbauphase der LP sprach ja dafür, dass hieran akribisch gearbeitet wurde und viele der Songs, die zwischendurch erschienen, befeuerten ebenfalls meine Hoffnung, dass gutes passieren könnte. Doch scheint all dieses Potenzial irgendwo im langen Strudel der Zeit verloren gegangen zu sein, denn auf Widergeburt machen Dÿse am Ende doch ein immens enttäuschendes Album. Wobei sie im Prinzip auch wenig anders machen als die ganze Zeit zuvor. Viele Tracks hier sind rotzige Noise-Bretter mit sperrigen Dada-Parolen, einer guten Portion Math-Schlagseite und dem fettigen Spirit der frühen Kyuss, die immer noch klingen, als hätte Stephan Remmler mal heimlich ein Sludge-Nebenprojekt gehabt. Wo diese Elemente auf einer LP wie Das Nation aber stets zu einer überraschenden und um die Ecke gedachten Erlebnisrockmusik mit echtem Bombast-Faktor zusammengescharaubt wurden, die immer auch ein bisschen formwandlerisch war, ist die Kompositorik diesmal seltsam geradeaus und einheitlich formuliert, was in vielen Momenten gewisse Schwächen der Dÿse'schen Formel offenbart. So spürt man plötzlich doch sehr deutlich die instrumentalen Beschränkungen, die eine Besetzung als Duo mit sich bringt, obwohl diese an manchen Stellen sogar schon erweitert werden. Klar war diese Band auch schon vorher gerne mal stumpf und hölzern, aber immerhin auf vierzig verschiedene Arten statt auf eine einzige, die hier mitunter ziemlich monoton wirkt. Dass die Produktion hier sehr trocken ist und manche Passagen sich gefühlt wiederholen, erschwert das ganze noch zusätzlich. Und wo die Berliner mangelnde Abwechslung früher wenigstens noch mit coolen Texten auskontern konnten, sind auch diese hier eher spärlich gesät und teilweise sogar ziemlich peinlich. Wo Stücke wie Der Haifisch die Zähne oder Prärieauster klingen wie ziemlich einfallslose Nation-Tracks und manchmal sogar etwas von einer Selbstparodie haben, versuchen andere wie 89/90 oder Laicos Neidem mäßig erfolgreich, irgendwie politisch zu sein und spätestens wenn Alles ist meins lyrisch auf dem Niveau einer Schülerband ankommt, tut das schon irgendwie weh. Kleinere Lichtblicke wie Ameisenhandschuh oder die zweite Strophe von 89/90 gibt es, doch sind diese fast vernachlässigbar im Vergleich zu dem großen Haufen Müll, den Dÿse links und rechts davon anhäufen und der leider meist eher zwischen irrelevant-lahmarschig und effektiv belastend tendiert. Dass Widergeburt ein schlechtes Album ist, kann ich deshalb ebenso unumwunden sagen wie dass ich diesem Umstand unglaublich schade finde. Wie schon gesagt ist ein Longplayer dieser Gruppe eine Sache, die nicht alle Jahre vorkommt und nach so langer Zeit jetzt so einen Hunz aufgetischt zu bekommen, frustriert mich doch ziemlich. Nicht zuletzt deshalb, weil ich mich total gefreut habe, das erste Mal über diese Band zu schreiben und dabei definitiv keinen solchen Verriss im Kopf hatte.

🔴🔴🔴🟠⚫⚫⚫⚫ 04/11

Persönliche Höhepunkte
Ameisenhandschuh | 89/90

Nicht mein Fall
Der Haifisch die Zähne | Kuttenwurz | Alles ist meins | Hudabb


Hat was von
Raketkanon
RKTKN#2

Pauwels
Elina


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