Mittwoch, 20. Oktober 2021

Kein Zufall

Juse Ju - JuNi
JUSE JU
Juni
Groove Attack
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ pessimistisch | selbstbewusst | nachdenklich ]

Als Juse Ju im Herbst 2018 mit seinem vierten Album Shibuya Crossing für mich relativ unerwartet eine der besten Deutschrap-Platten der damaligen Saison veröffentlichte, ging ich davon aus, die Nummer wäre ein Glückstreffer gewesen. Es war eine LP, deren Qualität zwar da war, aber ziemlich auf tönernen Füßen stand und sich darüber hinaus sehr wenig planvoll anfühlte. Ganz zu schweigen davon, dass ihr Interpret für mich zu diesem Zeitpunkt jemand war, der generell eher durchwachsene Musik machte. Drei Jahre später kann ich resümieren, dass besagtes Album für den Kirchheimer der Beginn einer Erfolgs- und Hochwertigkeitssträhne war, der ihn Stand 2021 zu einem Rapper macht, von dem ich einiges Erwarten kann. Sicher, mit Millenium war der einzige richtige Longplayer, den Juse Ju seitdem veröffentlichte, nicht unbedingt der Hammer, doch gab es der starken Momente dennoch mehr als genug. Gerade in Form von Singles und Kleinformaten ging in der Zeit seit 2020 ordentlich die Post ab und es gab Phasen, in denen quasi jeden Monat ein weiterer Riesenhit von diesem Typen erschien. Dass nicht alle von denen jetzt den Weg auf seine neueste LP geschafft haben, ist dabei vielleicht ein bisschen schade, macht aber auch irgendwie Sinn. Weil der Juse Ju von heute eben nicht mehr nur Musik macht, um ein Album zu promoten, sondern zunehmend auch tagesaktuelle Statements abgeben will, die für so etwas zeitloses wie einen Longplayer eher weniger funktionieren. Trotzdem freue ich mich zu sagen, dass JuNi als produktorientierter Longplayer auch endlich wieder einer ist, der gerade darin sehr gut aufgeht und nach dem etwas verkorksten Millenium der Nachfolger ist, den Shibuya Crossing verdient hat. Mit einem Juse Ju an der Spitze, der wiederum damit überrascht, was für eine weitreichende Palette an Emotionen und Gedanken er hier anschneidet. Wobei es durchaus einen kleinen Weg braucht, um zu diesen Momenten durchzudringen. Denn in großen Teilen der ersten Hälfte ist JuNi doch erstmal ein recht ahnbares Album, das auch gerne Mal Formeln von alten Platten wiederholt und dabei auch vermeidbare Fehler macht. Es kann daran liegen, dass Songs wie Mittelschicht Männers, How Dare You oder Eine kleine Frage die Elemente der LP sind, die man schon am längsten vorher kannte, doch habe ich hier an vielen Stellen das Gefühl, Ideen und Konflikte der wiedergekäut zu bekommen, die eigentlich schon lange abgehandelt waren. Juse stichelt dabei ziemlich intelligent gegen Rapperkolleg*innen, Querdenker*innen und toxische Maskulinität, findet aber kaum wirklich neue Narrative. Und spätestens wenn in Legit Dauergast Fatoni für einen Part auftaucht, ist das zwar irgendwie süß und traditionsbewusst, aber auch maximal ausgelutscht. Weshalb ich eigentlich nach den ersten fünf Songs dachte, JuNi würde eine weitere eher langweilige LP von Juse werden. Bis er im zweiten Akt des Dramas dann eben doch noch das Ruder herumreißt und nicht nur eine ganze Ecke interessanter wird, sondern sogar eine mir noch völlig neue Facette seines Songwritings zeigt. Gemeint ist damit vor allem der Mittelteil, bestehend aus den Stücken Gargoyle, Gleisbett und dem Titeltrack, die in emotional sehr finsteres Territorium vordringen, in denen man Juse Ju voher selten gesehen hat. Sicher gab es früher schon Nummern wie Lovesongs, Claras Verhältnis oder Milka Tender, die ungemütlich und rauh waren, aber das hier ist was anderes. Hier werden Themen wie Zynismus, Imposter Syndrome, Depressionen und Gewaltbereitschaft sehr selbstzersetzend angeschnitten, wobei sich der Künstler so kaputt zeigt wie noch nie vorher. Das ist dann plötzlich wahnsinnig stark und hat wieder diesen Überraschungseffekt, den ich an Shibuya Crossing so schätzte. Vor allem, weil danach noch lange nicht Schluss ist. Zwar geht die Platte mit Speedrun, Bye Bye und Nicenstein wieder etwas auf leichtere Themen zu, die sind aber ebenfalls wesentlich cooler ausformuliert als die auf der ersten Hälfte der LP und funktionieren damit einfach viel viel besser. Und spätestens wenn Juse Ju mit dem Closer Sorry, Kid zum Ende nochmal einen seiner schönsten biografischen Storytelling-Tracks auspackt (in denen er für mich immer noch am besten ist), setzt er dem Ding irgendwie die Krone auf und ist wieder in der Topform, in der ich ihn zuletzt so gerne gesehen habe. Weshalb dieses Album als Gesamtheit trotz seiner deutlichen Mängel eines ist, das mich extrem mit diesem Künstler versöhnt. Es ist wie ein sehr leckerer Kuchen, der leider an der Vorderseite schon etwas angebissen ist. Das mindert schon irgendwie den Wert des ganzen Dinges und auf den beknabberten Teil kann ich verzichten, der Rest ist deshalb aber trotzdem nicht weniger lecker. Und mit Zutaten kennt dieser Rapper sich inzwischen auf jeden Fall richtig gut aus. Fehlt nur noch, dass die Abstimmung an manchen Stellen etwas knackiger wird. Aber noch sind wir ja mittendrin im musikalischen Homerun des Juse Ju.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Intro | Der Gargoyle | JuNi | Gleisbett | Speedrun | Nicenstein | Bye Bye | Sorry, Kid

Nicht mein Fall
Mittelschicht Männers | How Dare You


Hat was von
Maeckes
Tilt

Antilopen Gang
Anarchie & Alltag


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