Montag, 4. Oktober 2021

Urbane Kunst

RP Boo - Established!RP BOO
Established!
Planet Mu
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[  minimalistisch | trocken | gentrifiziert ]

Es ist leider Gottes nicht ganz unumgänglich, dass ich an dieser Stelle meines ersten Artikels über das Werk des DJs und Produzenten RP Boo erstmal einen kleinen Exkurs über die Bedeutung des Künstlers an sich, seine ziemlich eigenwillige Karriere und die exotischen musikalischen Welten des Juke, Ghettotech und Footwork vornehme, in denen er Unterwegs ist. Denn wenn wir von diesem Typen sprechen, dann mehr oder weniger von demjenigen, dem wir die ganze Nummer im wesentlichen zu verdanken haben. Als prägender Pionier und Vordenker jener ziemlich nischigen Subgenres (die alle im wesentlichen ein Crossover aus klassischem Chicago House und Hiphop-Elementen bezeichnen), die in den Neunzigern im Norden der USA entstanden, ist er für den Kosmos des House an sich eine ziemliche Koriphäe, allerdings auch eine ziemlich unscheinbare. Der Textteil seiner Wikipedia-Seite (der englissprachigen wohlgemerkt!) umfasst zum jetzigen Zeitpunkt ganze fünf Zeilen und als richtiger Recording Artist mit eigener Diskografie existiert er so wirklich erst seit dem Ende der Zwotausender. Was im wesentlichen daran liegt, dass er als aktiver Musiker bis heute vor allem live als Akteur hinterm Pult aktiv ist und sich als solcher auch den größten Teil seines guten Rufs erarbeitet hat. Was allerdings lange nicht heißt, dass sein überschaubarer Studiokatalog deshalb nicht ebensoviel wert wäre. Im Gegenteil. Seitdem er 2013 mit Legacy nach etlichen Jahrzehnten doch noch sein kommerzielles Albumdebüt wagte, erntet er in der Profipresse überwiegend positive Kritiken und steht hoch in der Gunst vieler Musiknerds im Internet. Und obwohl nur weniges davon bis dato zu mir durchdrang, kann ich diesem Urteil zumindest anhand dessen zustimmen, was ich auf Established! so höre. Denn selbst wenn es auf den ersten Blick nicht nach viel klingt, was Boo auf dieser LP macht, ist es doch auf seine Art unglaublich clever. Nicht zulezt gerade deshalb, weil es so minimalistisch und grob geschnitzt ist. Als Vertreter des klassischen Chicago House steht er zu einen sehr aufgeräumten, schlichten und mitunter auch etwas spröden Sound, der in der Theorie eigentlich veraltet sein müsste, fände er nicht so unglaublich viele Anschlusspunkte zu jungen Trends, die sehr gut ins Weltbild von elektronischer Musik des Jahres 2021 passen. Wobei letztlich viel auf die frivole und teils memetische Sampletechnik zurückzuführen ist, die Boo an vielen Stellen der LP benutzt. Wenn beispielsweise in How 2 Get It Done das Hauptmotiv von Nuthin' But A G Thang von Dr. Dre in Dauerloop läuft oder All Over aus gechoppten Vokalschnipseln einer Phil Collins-Powerballade besteht, muss ich unwillkürlich an frühe Vaporwave-Tracks von Vektroid und Daniel Lopatin denken, beziehungsweise an die tolldreisten Plunderphonic-Eskapaden von Youtube-Mashups der Marke Everything is Terrible oder Silva Gunner. Das kann dann mitunter auch mal dillettantisch wirken, vor allem weil RP Boo oft die Angewohnheit hat, zwischendurch wilde Cuts und ziemlich billige Drumpatterns einzuspielen, aber geil ist es halt irgendwie trotzdem. Vor allem weil es eben nicht nur ein kolossaler Joke ist, sondern der Künstler seine Tracks durchaus mit einem cleveren Understatement anreichert, das die ganze Sache in den besten Momenten aussehen lässt wie echte Kunst, von der ich mir sicher bin, dass sie ernst gemeint ist. Zwar schon auf eine urban-ironische Banksy-Basquiat-Art und Weise, aber immerhin. Sie macht Established! schlussendlich nicht nur zu eimem Album, das sehr viel Spaß macht und auf dem man den Gottvater des Footwork ein weiteres Mal als geschickten Producer erlebt, sondern auch ein bisschen als Bohèmien mit echtem Experimental-Anspruch. Und vielleicht bedeutet das, dass seine Musik gentrifiziert ist. Cool ist sie bei alledem aber trotzdem immer noch.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
All My Life | How 2 Get It Done | Haters Increase the Heat | Oh! | Finally Here | All Over | Just Like That! | Be Of It! | Now U Know! | Ivory Surface | Beauty Speak of Sound | Another Night to Party

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Kane West
Expenses Paid

Project Pablo
I Want to Believe


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen