Sonntag, 31. Oktober 2021

Bis die Wolken wieder lila sind

MARTERIA
5. Dimension
Four Music
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ elektronisch | standhaft | ätherisch ]

Eigentlich hatte ich ja nicht gedacht, über die Musik von Marten Lanciny jemals noch etwas anderes schreiben zu müssen als das gleiche, was ich jetzt auch schon die letzten paar Jahre darüber geschrieben habe. Dass sie prinzipiell ganz cool ist, aber auch irgendwie auf Autopilot läuft. Dass sie Beteiligung der Krauts daran so ziemlich das beste ist und das Marteria schon irgendwie gescheite Texte schreibt, aber eben auch keine Hits mehr. So war es beim zweiten Teil von Zum Glück in die Zukunft vor sieben Jahren, so war es bei Roswell nochmal drei Jahre später und so war es im Prinzip auch 2018 auf 1982, seinem Kollaborationsalbum mit Casper. Es war eine so lange Zeit, dass zumindest ich mich inzwischen irgendwie an diesen Trott gewöhnt hatte und ehrlich gesagt nicht damit rechnete, dass der Rostocker aus dieser Formel nochmal ausbrechen würde. Immerhin steckte in diesem Sound ja auch ein einzigartiges Erfolgsrezept, dass Materia in dieser Zeit zu einer bewährten Marke in der Deutschpop-Landschaft machte und über Jahre hinweg gut seinen Geldbeutel füllte. Und wenn man sich 5. Dimension, seinen wie der Name schon sagt fünften Longplayer, so anhört, ist so viel erstmal auch nicht anders. Personell steht hinter der Platte ein weiteres Mal dasselbe Team, das neben Lanciny selbst im wesentlichen aus den Krauts als Produzenten sowie Yasha und Miss Platnum als Stammgästen für die Hooks besteht, lyrisch sind die meisten Themen nach wie vor die gleichen und weiterhin bleibt das Bewusstsein für die Marke Marteria an sich bestehen. Wenn überhaupt, dann wird dieses Konzept der letzten Platten hier ein Stückweit ausgebaut, wobei diese Ergänzungen für die Ästhetik der Platte durchaus entscheidend sind. Vor allem in Form der Beschäftigung von DJ Koze, der hier als zusätzlicher Produzent engagiert wurde und sich klanglich auch sehr auf diesem Album breit macht. So breit, dass man argumentieren könnte, dass es sich eigentlich gar nicht mehr um ein reines Hiphop-Produkt handelt, sondern mindestens genauso sehr um ein clubbiges Electronica-Release. So gut wie alle Songs hier verfügen über ein instrumentales Backing, das eigentlich eher klingt wie aus einem DJ-Set, das Modeselektor, Paul Kalkbrenner oder Apparat irgendwann Mitte der Zwotausender liegen gelassen haben und dessen Marteria sich nun annimmt. Was in meinen Augen wahnsinnig gut passt, denn ästhetisch findet er damit eine ebenso stimmige wie innovative Ausdrucksform. Schon immer ging es in Lancinys Texten ja irgendwie um Eskapismus, um Jugend und auch irgendwie ums Feiern, was er hier nochmal extra herauskitzelt. Nur dass es diesmal nicht wie eine Pose wirkt, sondern wie ein tatsächliches künstlerisches Anliegen, das nicht nur lyrisch, sondern durch alle Elemente dieser LP gleichermaßen umgesetzt wurde. Und es schafft eine Neuorientierung des typischen Marteria-Sounds auf die bestmögliche Art und Weise. Eine, die viele Stärken der Vorgänger mitnimmt und ausbaut, aber um neue Kompetenzen erweitert und unnötige Sachen hinter sich lässt. Das macht 5. Dimension in meinen Augen zum besten Album des Rostockers seit dem ersten Zum Glück in die Zukunft vor mehr als zehn Jahren, findet aber außerdem eine Kohärenz, die es in seiner Musik so vorher noch nie gab. Vor allem ist es aber schön zu sehen, dass das alte Schlachtschiff Marten Lanciny im dritten Jahrzehnt seiner Karriere trotzdem noch musikalisch beweglich ist. Denn auch wenn das jetzt nach viel klingt: So schnell hatte ich ihn noch nicht im kreativen Ruhestand gesehen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Paradise Delay | Loft & Liebe | Marilyn | Traffic | Zug der Erkenntnis | Strandkind | Neonwest | Interstellar | DMT | 6:30 (Good Night)

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Paul Kalkbrenner
Berlin Calling

Yasha
Weltraumtourist


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