Donnerstag, 14. Oktober 2021

Der Weg aller Bananen

I'll Be Your Mirror: A Tribute to the Velvet Underground & Nico
Verve
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ elegant | vielschichtig | distanziert ] 

55 Jahre alt wird the Velvet Underground & Nico im Frühjahr 2022, eines der zweifelsohne einflussreichsten und größten Alben der Popgeschichte. Ein Album, über das es viel zu sagen gäbe, was an diese Stelle unglaublich überflüssig wäre, weil schon so viele andere genau das getan haben. Journalist*innen, Musiker*innen, Künstler*innen und so ziemlich jede*r unter den zigtausend Leuten, die eine Kopie der legendären Bananenplatte in ihrem Schrank haben, bescheinigen immer wieder den mythischen Status dieses Werks und weil ich dem grundsätzlich auch nichts hinzuzufügen habe, fühle ich mich an dieser Stelle auch nicht dazu verpflichet. Worüber ich stattdessen reden möchte ist dieses jüngst erschienene Tribute-Release von Verve Records, auf dem diverse sehr bekannte Acts die Songs des Klassikers covern und die damit verbundene Frage, wie viel Gegenkultur eigentlich noch in the Velvet Underground & Nico steckt. Denn dass sich seit 1967 die Perspektive darauf ein wenig verschoben hat, sollte bei dieser LP irgendwie klar sein. Wobei allem voran erneut die Feststellung gemacht werden muss, wie wenig sich an der visionären Kraft des Originals an sich verändert hat. Als ich vor etlichen Jahren zum ersten Mal das Album hörte und dabei durchaus um dessen Standing inder Popkultur wusste, war ich doch ziemlich erstaunt, wie mühelos es meinen Generation-Z-Digital-Native-Alles-eh-schon-gehört-und-gesehen-Zynismus ausdribbelte und mich trotz seines Alters doch noch ganz schön zu überraschen wusste. Und wenn man sich ansieht, wie diese Songs bis heute von nachwachsenden Generationen an Musikfans angenommen werden, bin ich mit dieser Feststellung definitiv nicht der Einzige. Von seinem objektiben Einfluss auf so gut wie alle Popmusik der letzten fünfeinhalb Jahrzehnte mal ganz zu schweigen. Dass es den klassischen Sound von Punkrock sowie große Teile der experimentellen Popmusik ohne diese LP heute in dieser Form nicht gäbe, ist ganz einfach ein Fakt. Doch wie so viele Sachen, die einstmals irgendwie anrüchig und alternativ waren, ist auch the Velvet Underground & Nico mittlerweile vom orginären Bestandteil einer Punk-Attitüde zu einem der vielen Symbole der Bewegung geworden, die sich der Mainstream inzwischen angeeignet hat und die Stand heute wenig mehr als eine Ware sind. Vor allem das ikonische Warhol-Cover hat es dabei schlimm erwischt, aber auch die Musik und die Hintergründe der Platte sind seit 1967 vielerlei schlimm verwurstet und verschachert wurden. Wenn heutzutage ein Tribute-Sampler wie dieser erscheint, ist desmzufolge natürlich die Angst da, dass auch das nur ein weiterer Schritt zur noch erfolgreicheren Zermarktung  dieses Kulturguts ist. Wobei man diese Angst schon erstmal damit eindämmen kann, dass das Projekt zumindest personell in guten Händen ist. Koordiniert wurde I'll Be Your Mirror nämlich tatsächlich von dem Label, das 1967 auch schon das Original herausbrachte und wenn man sich darüber hinaus die Liste der Covernden hier ansieht, fühlt die sich ebenfalls erstmal gut an. St. Vincent ist hier ebenso dabei wie Iggy Pop, Thurston Moore, Matt Berninger und Sharon van Etten, also insgesamt alles illustre Künstler*innen, denen zumindest ich ein tieferes Verständnis des zugrundeliegenden Materials bescheinigen würde. Und viele spannende Interpretationen gibt es von denen dann auch, die zumindest meistens dem Original gerecht werden. Grund zur Panik gibt es folglich schonmal nicht. Ein bisschen muss ich mich aber doch darüber ärgern, wie sehr Verve mit diesen Acts auf Nummer sicher gegangen ist und sich größtenteils mit Bearbeitungen schmückt, die vorrangig für irgendwelche Indie-Boomer interessant sind, die ihre Plattenempfehlungen mittlerweile aus dem Kulturradio kriegen. Wobei sich vieles davon darin zeigt, wie die einzelnen Songs hier angegangen werden und wie zahm das ganze an vielen Stellen ist. Dabei mag es noch okay sein, dass ein rechtschaffen altersmilder Michael Stipe die ganze Nummer auf dem eh sehr chilligen Sunday Morning beginnt, aber wenn das schon wesentlich ruppigere I'm Waiting for the Man anschließend von Profi-Schnarchnase Matt Berninger aufgelesen wird, ist das mir persönlich schon ein bisschen zu viel Lethargie für eine Band wie Velvet Underground. Und zumindest auf der ersten Hälfte der LP beschreibt diese Lahmarschigkeit dann auch einen gewissen Trend: Sharon van Ettens Femme Fatale klingt eher wie ein schlechtes Imagine-Cover und ist enervierend kalt und düster gehalten, während Andrew Bird und Lucius das grantige Venus in Furs zu einem possierlichen Indiefolk-Schmuckstück umgestalten. Aber auch wenn es nach diesem etwas zu handzahmen Auftakt zumindest ein bisschen actionreicher und auch unkonventioneller wird, hat die Platte noch einige schwere Kinks auf dem Weg auszubügeln. Und zu denen gehört defnitiv auch Annie Clarks sehr freie Interpretation von All Tomorrow's Parties, einem meiner Lieblingsstücke auf dem Original. Zuerst hatte ich mich ja gefreut, wie sie den Song hier quasi komplett zersetzt und als abstrakte Klangcollage mit Spoken Word-Lyrics neu synthetisiert, am Ende macht sie aus einem fantastisch komponierten, wunderbar energischen Track aber ein ziemlich seelenloses Kunstobjekt mit wenig Aussage, das zudem auch noch ziemlich pretenziös wirkt und damit einer der Tiefpunkte der LP ist. Mit Heroin von Thurston Moore und Bonny Gillespie, There She Goes Again von King Princess und Black Angel's Death Song von Fontaines D.C. folgen danach einige sehr wenig veränderte Cover, die aber bis dahin auch die Highlights der Platte sind, wobei gerade letztere mit ihrer überbordenden Britishness noch ein gewisses Etwas hinzufügen, das gar nicht mal ohne ist. Auch cool ist zwischendrin Courtney Barnett mit ihrer rotzig-düsteren Blues-Version des (hiesigen) Titelsongs und der psychedelische Blues-Jam, den Kurt Vile aus Run Run Run macht, mein persönliches Highlight kommt aber leider erst ganz am Ende und passenderweise vom einzigen Künstler, der sich mit Velvet Underground ein Vermächtnis teilt. European Son ist ja eigentlich einer der Tracks vom Original, die ich gar nicht mal so gerne mag, aber was Iggy Pop und Matt Sweeney hier damit anstellen, ist dann schon ziemlich geil. Es ist dabei das eine, dass auch die beiden sehr schön das kakophonische Chaos dieses Stücks dirigieren, aber Iggy als Vokalist ist als performativer Bonus ganz einfach eine Erscheinung, die fasziniert. Und eine Nummer wie diese bringt mich dann irgendwie doch auf die Idee, dass eine Coverplatte wie diese auch anders hätte laufen können. Anders im Sinne von gewagter und experimenteller. The Velvet Underground & Nico war seinerzeit ja immerhin ein Produkt der Avantgarde, das Grenzen sprengte und unglaublich viel visionäre Kraft hatte. Was also, wenn man für diese Tributes mehr in eine solche Richtung gedacht hätte? Man stelle sich eine Variante von I'll Be Your Mirror vor, auf der Leute wie Clipping, Lingua Ignota, Boris oder Black Country, New Road sich dieser Klassiker angenommen hätten. Das ist natürlich nur ein Luftschloss, doch würde es wohl definitiv spannender klingen als das bisschen Rumgewusel, das dieses Team hier zum großen Teil veranstaltet. Und es würde eben nicht so wunderbar ins vorweihnachtliche Special-Release-Segment passen, das man auch seinem Papa als überteuerte 180-Gramm-Doppelvinyl schenken kann, weil der ja auch the National so cool findet. Es wäre aber - zumindest in meinen Augen - eher dem gerecht, was eine Band wie the Velvet Underground und eine Künstlerin wie Nico popkulturell bedeuten. Nämlich dass man sich nicht zum Produkt macht. Auch nicht nach fast 60 Jahren.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Run Run Run | Heroin | There She Goes Again | I'll Be Your Mirror | the Black Angel's Death Song | European Son

Nicht mein Fall
Femme Fatale | All Tomorrow's Parties


Hat was von
Mercury Rev
Bobby Gentry's Delta Sweete Revisited

I'm Your Fan: the Songs of Leonard Cohen


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