Montag, 8. Februar 2021

I Don't Feel U Bro

Black Country, New Road - For the First Time BLACK 
COUNTRY, NEW ROAD
For the First Time
Ninja Tune
2021






 

[ jammig | emorockig | freiförmig | pretenziös]

Im bunten Kosmos der Musiknerds hat sich in den letzten zwei bis drei Jahren ein neuer stereotyper Charakter breitgemacht, dessen Existenz mich zurzeit gleichermaßen begeistert wie belustigt: Der "Indie-Bro". Gemeint sind damit soweit ich weiß meistens weiße Typen, die dem Fandom eines vordergründig experimentell-rockigen musikalischen Kanons angehören und nicht selten ihre gesamte Persönlichkeit darüber definieren. Jungs Anfang 20, die einen Account bei Rateyourmusic betreiben, auf Twitter Memes über Shoegaze posten, es lustig finden, "americ anfootball" zu sagen und in deren Topsters-Listen mindestens einmal eine Platte wie Loveless von My Bloody Valentine, In the Aeroplane Over the Sea von Neutral Milk Hotel oder Soundtracks for the Blind von Swans auftaucht. In den letzten Jahren bildeten sie ganz in dieser Tradition vor allem die Fanbase von Acts wie Black Midi, Idles, den Death Grips oder Daughters. In diversen Punkten bin letztendlich auch ich irgendwie Teil dieser Kultur, was zum einen ein bisschen besorgt, zum anderen auch meine Faszination befeuert. Und es hat dafür gesorgt dass auch ich aus erster Hand mitbekam, wie eine junge Band namens Black Country, New Road seit Beginn des Jahres der neue Stern am Firmament dieser Bubble zu sein scheint. Mit For the First Time veröffentlichte diese jüngst ihr offizielles Debüt, wobei direkt auf den ersten Blick abzusehen war, was viele der besagten Musikfans daran so toll finden. Um es kurz zu machen: Selten habe ich eine Sammlung von Songs gehört, die so eindeutig auf die musikalischen Vorlieben der Indiebro-Gemeinde zugeschnitten ist wie dieses Album und dabei so kackendreist stilistische Marker abhakt. Schon die klanglichen Einflüsse lesen sich dabei wie der feuchte Traum pubertärer RYM-Patricians: Die langen, lose gefassen Songstrukturen und die radebrechenen, prosaischen Lyrics sind vorzüglich von Slints Spiderland abgeguckt, die postpunkigen Mathrock-Parts könnten auch gut von Black Midi sein, die breiten und gniedelnden Saxofon-Passagen erinnern stark an die Arbeiten von Shabaka Hutchings und ein bisschen herzkranke Midwest-Emo-Attütide der Marke American Football ist auch mit dabei. Auf dem Papier also eine ziemlich geile Zusammenstellung von Ideen, die zumindest mir mächtig Bock auf diese Platte machte. Leider aber auch nur theoretisch. Denn nimmt man den Sound von Black Country, New Road mal ernsthaft auseinander, gibt es nicht viel, was diese Band auf lange Sicht besonders macht. Vor allem das Songwriting ist dabei oft nicht halb so stark wie es die renommierten Vergleiche vermuten lassen. Die meisten der sechs Songs auf For the First Time hangeln sich an einem eher lose gefassten instrumentalen Konzept entlang, das mindestens einmal einen kryptischen lyrischen Gefühlsausbruch von Sänger Isaac Wood sowie ein opulentes Blechblaß- oder Streichermotiv vorsieht und spätestens nach dem zweiten Track ein bisschen vorhersehbar wird. Auch habe ich bei den jammigen Strukturen und den sehr abstrakten Texten nie das Gefühl, dass die Stücke irgendwo hinführen oder einen wirklichen Zweck haben, was ihnen mitunter schon einen etwas pretenziösen Nachgeschmack verpasst. Das einzige, was dabei hin und wieder ernsthaft hervorsticht sind die ryhthmischen und jazzigen Grooves wie in Instrumental oder Opus, die in den besten Momenten eine Art hypnotische Qualität provozieren. Leider kranken auch diese immer wieder an der fehlenden klanglichen Dichte und einer etwas billigen Produktion, die das ganze Album plagt. Was die Texte angeht, mag ich irgendwie diese slammige Spoken-Word-Abstraktion von Isaac Wood und auch dessen theatralische Performance zwischen Slampoetry und bekifftem existenzialistischem Lamento, doch stellt sich bei ihm nie dieser Jeff Mangum- oder Mark Kozelek-Effekt ein, bei dem zwischen den Zeilen auch tatsächliche Poesie entsteht. Viel eher wirkt dieser Aspekt des Albums ebenfalls ein bisschen so, als wolle hier einfach jemand cooler sein als alle Anderen. Und dass For the First Time dadurch insgesamt ein bisschen diese Aura hat, ist ehrlich gesagt schade. Denn ein grundsätzliches Talent kann ich Black Country, New Road bei aller Kritik echt nicht absprechen. Kompositorisch coole Stellen wie die pointillistische Staccato-Begleitung in Track X, die dicken Bläser am Ende von Opus oder die köchelnde Atmosphäre von Science Fair gibt es hier zu Hauf, nur müssen die sich alle noch in einen etwas besseren Gesamtklang und eine stärkere emotionale Sprache einfinden, was hier einfach zu selten passiert. Wenn diese Band also noch ein bisschen mehr an ihrer Strukturierung und Message arbeitet, bin ich optimistisch, dass sie in ein paar Jahren etwas in der Tragweite von The World is A Beautiful Place & I Am No Longer Afraid to Die oder Oiseaux-Tempête schaffen könnten. Bis hierhin sind sie allerdings eher die inhaltsleere Schale der experimenteller Rockmusik ihrer großen Helden, die ein bisschen formlos daherdümpelt. Was nicht unbedingt schlimm ist, aber mich auch nicht zum Fan macht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Science Fair | Sunglasses | Track X | Opus

Nicht mein Fall
Athens, France

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen