Sonntag, 21. Februar 2021

Länger, Größer, Lascher

TRIPPIE REDD & TRAVIS BARKER
Neon Shark vs. Pegasus (Deluxe: Presented By Travis Barker)
1400 Entertainment | Ten Thousand Projects
2021 









[ angsty | großkotzig | trippy ]

Es ist in meinen Augen nicht weniger als eine der dämlichsten Schnapsideen in der gesamten Existenz von Cloudrap gewesen, als sich vor ziemlich genau einem Jahr Lil Uzi Vert die Sache mit den überbordenenden Deluxe-Versionen ausdachte und es ihm kurz danach alle gleichtaten. Der hoffentlich recht kurzlebige Trend, im Anschluss eines neuen, meist für sich schon unter immenser Länge ächzenden Albums noch ein weiteres wenige Wochen später als Anhängsel zu veröffentlichten, ist aus sehr offensichtlichen Gründen ein ebenso enervierender wie sinnloser PR-Move, den schon ab dem ersten Moment niemand so richtig cool fand. Zumal er in so gut wie allen Fällen nur für noch mehr schlechte Musik sorgte als wirklich etwas künstlerisch beizutragen. Doch nachdem es 2020 von vielen Genre-Zugpferden wie Lil Baby, Nav und eben Lil Uzi Vert gemacht wurde, scheinen es gerade alle wichtigen Cloudrapper*innen genauso machen zu müssen. Und wie man in diesem jünsten Fall von Trippie Redd sieht, ist lediglich ein solches Deluxe-DLC manchen nicht mehr genug. Bereits im letzten Herbst erschien von ihm im Anschluss an sein letztes offizielles Album Pegasus die Erweiterungs-EP Spooky Sounds, die die Aufgaben einer klassischen Bonustrack-Version eigentlich vortrefflich abhakte. Doch war das für ihn anscheinend erst der Anfang. Keine vier Monate später hat er mit Neon Shark vs. Pegasus eine weitere Ausbauvariante des gleichen Longplayers am Start, die diesmal auch definitiv zum großen Besteck gehört. Nicht nur besteht sie nochmal aus 14 komplett neuen Songs, die eine gute Dreiviertelstunde Material füllen (gemeinsam mit dem nochmal aufgewärmten Hauptalbum kommt man somit auf fast zwei Stunden), auch ist das hier stilistisch eine ganz andere Baustelle. Denn mit dieser LP begibt sich nach Vorreiter*innen wie Kid Cudi, Machine Gun Kelly und Princess Nokia nun ein weiterer bekannter Rapper auf einen ausführlichen Exkurs in Richtung Emorock und Pop-Punk. Und wo das PR-technische Rollout dieser Platte für mich im Vorfeld eine deutliche rote Fahne war, war ich unabhängig davon auf die musikalische Ausarbeitung aus diversen Gründen sehr gespannt und definitiv optimistisch. Denn wenn ein Projekt aus der Szene diesen Crossover-Spagat stil- und verheißungsvoll anging, dann war es definitiv diese Platte. Allein schon deshalb, weil die Basis stimmt. In der wachsenden Emotrap-Bubble der letzten Jahre ist Trippie Redd für mich schon eine ganze Weile jemand, der mit Platten wie Love Letter to You 4 oder ! Überzeugungsarbeit leistete und der allgemein einen ziemlich wasserdichten Katalog vorweisen kann. Dass er sich Travis Barker dann auch den ehemaligen Drummer von Blink-182 als offiziellen Sparringpartner dazuholt, ist der nächste clevere Schritt. Denn der bringt nicht nur das nötige Expertenwissen in Sachen Rockmusik mit, er ist auch erfahren in der Arbeit mit Rap-Künstler*innen und hat diese Art von Crossover in der letzten Dekade quasi von der anderen Seite aufgezogen. Dass obendrein Leute wie Machine Gun Kelly, Scarlxrd, ZillaKami und Chino Moreno hier auftauchen, die ebenfalls zu einer gewissen Rap-Meets-Rock-Schnittmenge gehören, ist der dritte Pluspunkt. Neon Shark vs. Pegasus hatte also schon vor seinem Release viele Dinge auf der Habenseite. Weshalb ist es letztlich umso mehr enttäuscht, dass das Ergebnis relativ ernüchternd und durchwachsen ausfällt. Eine Sache, die auch ein bisschen damit zu tun hat, welche Ambitionen hier dahinter stecken. Denn bisher war die ganze Emotrap-Nummer für Trippie Redd sowas wie ein gut gemachter Nebenquest, der mit wenig Aufwand betrieben wurde und für diese Verhältnisse ausgesprochen gut war. Hier jedoch wird die ganze Sache plötzlich ernst. Da werden echte Instrumente aufgenommen, Travis Barker spielt das Schlagzeug live ein, es sind altehrwürdige Rockstars anwesend und es ist ein richtiges Album statt eines Tapes. Statt eines Experiments muss diese Musik jetzt also auf einmal ein Statement sein, und gerade daran verhebt sich Neon Shark vs. Pegasus oft. In den allermeisten Songs beharrt diese LP auf dem drögen Crooner-Singsang-Emobeat-Format, das es schon auf den Mixtapes gab, nur wirkt das hier plötzlich sehr lahmarschig und unkreativ. Drumherum passieren wahnsinnig viele Dinge, die eigentlich nach mehr aussehen, aber nie richtig zur Geltung kommen. Viele Tracks hier haben geniale Einzelparts, die im aufgeschwämmten Mix der Platte aber überhaupt keine Anschlusspunkt funden und in der ätherischen Masse der Stücke irgendwie versanden. Sachen wie den wirklich coolen Drumbeat im Opener Pill Breaker, das Gitarrenriff von Swimming, die Hook von Red Sky oder das akustische Intro von Leaders machen an sich Hoffnungen, werden aber fast nie weitergedacht und bleiben als Bruchstücke unbefriedigend. Und im Gegensatz zu Pegasus, auf dem ein sehr atmosphärisches, vibiges Modell gut funktionierte, gibt es hier zu viele Ausreißer und klanglich konträre Ansätze, die an der Ästhetik rütteln. Und zusätzlich dazu noch eine ganze Rihe Momente, die effektiv mies sind. Female Shark hat eine unglaublich nervige Hook, in mehreren Songs treten Trippie Redds dürftige Chops als Sänger unangenehm zutage und dass Chino Moreno hier mit reingezogen wurde, tut mir unglaublich Leid für ihn. Für mich persönlich offenbart sich die Mittelmäßigkeit dieses Projekts aber erst so richtig im letzten Song Dead Desert mit Scarlxrd und ZillaKami, der mit Abstand der beste und actionreichste auf diesem Album ist. Erst wenn hier nach gut 45 Minuten plötzlich doch noch die Fetzen fliegen, merkt man so richtig, wie blass und gesichtslos vieles vorher war und was dieses Konzept kann, wenn es mal mit etwas mehr Bums angegangen wird. Ich will an dieser Stelle nicht unfair sein, Neon Shark vs. Pegasus ist in meinen Augen kein totaler Reinfall und hat definitiv seine Momente. Nur scheitert es zu oft daran, den nächsten stilistischen Schritt zu gehen und tritt dabei in ein paar unangenehme Fettnäpfchen. Nur zum Vergleich habe ich, während ich das hier schreibe, nochmal Love Letter to You 4 gehört und war erstaunt, wie viel klarer Trippie genau das gleiche dort macht. Und nicht nur kompositorisch, auch in Sachen klangliche Vielfalt und sogar in der Produktion. Ich für meinen Teil kann also definitiv sagen, dass ich das hier einen Rückschritt für ihn empfinde. Beziehungsweise scheint er auf sich alleine gestellt empirisch gesehen besser zu sein als mit Schützenhilfe von Travis Barker oder irgendwelchen Promis. Und das sollte hier in meinen Augen auch die Lektion für die Zukunft sein: Manchmal ist es besser, einfach sein Ding zu machen und nicht um jeden Preis die große Nummer zu schieben. Und ja, das gilt definitiv auch für weitere Deluxe-Versionen irgendwelcher alten Platten.

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 05/11

Persönliche Höhepunkte
Swimming | Red Sky | Dreamer | It's Coming | Frozen Ocean | Dead Desert

Nicht mein Fall
Female Shark | Geronimo | Sea World | Save Yourself

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