Dienstag, 23. Februar 2021

Desert Sessions

Animal Collective - Crestone ANIMAL COLLECTIVE
Crestone
Domino Soundtracks
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ ätherisch | psychedelisch | minimalistisch | collagig ]

Dass die Karriere von Animal Collective in den letzten zehn Jahren vorsichtig gesagt keine einfache Sache war, ist 2021 zum Glück kein wirklicher Hot Take mehr. Auch wenn viele Zwotausender-Fans auch nach den glorreichen Zwotausendern noch lange so taten als wäre alles gut, rückblickend gesehen war das, was mit dieser Band zwischen 2009 und jetzt passierte, nicht weniger als eine gehörige Identitätskrise. Eine die schwer war, eine die lang dauerte und eine, die mehr als eine recht fragwürdige Platte zur Folge hatte. Allerdings auch eine, von der man im Nachhinein sagen kann, dass sie sowohl notwendig als auch richtig war. Notwendig deshalb, weil nach einem Album wie Merriweather Post Pavillion, das über mehrere Jahre die komplette Indieszene Kopf stehen ließ, einfach ein klarer Schnitt gemacht werden musste. Richtig deshalb, weil die vier Musiker auf der anderen Seite der Krise als gestärkte und mutigere Band hervortreten, die sich neu gefunden hat. Die Animal Collective der Zwanziger sind vielleicht nicht mehr die farbenfroh-psychedelische Adrenalin-Truppe, die auf tausend Kanälen Trips ballert, dafür aber eine ziemlich guter experimenteller Kunstpop-Think Tank, der wahnsinnig viel von Klang, Atmosphäre und auch von leisen Tönen versteht. Dass sie nicht mehr immer als ganze Formation Platten veröffentlichen hat ihnen dabei genauso geholfen wie ein neuer Fokus auf Kollaborationen, der sich gerade in den vergangenen vier Jahren stark in Form von Soundtracks und konzeptuellen Werken äußerte. Und wo dazu bisher noch nicht immer das Etikett 'Ambient' passte, ist es spätestens auf dieser neuesten LP der Fall. Wobei sich Animal Collective ein weiteres Mal um die Veröffentlichung eines offiziellen neuen Albums herumdrücken. Crestone ist nach Tangerine Reef von 2018 ein weiterer experimenteller Filmscore, diesmal aus der Feder von Deakin und Geologist, der für das gleichnamige Debüt der Regisseurin Marnie Hertzler komponiert wurde. An dieser Stelle ein paar Worte zum Film, denn was da im Begleitschreiben auf der Bandcamp-Seite stand, klang einfach zu geil, um es hier außen vor zu lassen. Ich zitiere: "Crestone follows a group of SoundCloud rappers who live in solitude, growing weed and making music for the internet. When an old friend arrives to make a movie, reality and fiction begin to blur." Es sieht also aus, als hätten AnCo sich hier ein weiteres Mal Material ausgesucht, das Weirdness-technisch sehr zu ihnen passt. Und wieder gelingt es ihnen dabei großartig, eine gewisse Atmosphäre einzufangen. Zwar habe ich den Film hierzu nicht gesehen (was ich definitiv noch tun will!), doch scheinen ein paar ganz bestimmte Parameter hier ganz klar eine Rolle zu spielen. Zum einen das karge Ambiente einer Wüste, zum anderen ein Hauch von Psychedelik und der Suche nach Freiheit und Selbstbestimmung. Und wie das beides auf dieser LP eingefangen und ausbalanciert wird, ist nicht weniger als genial. Wie schon auf ihrer Amazonas-Platte Meeting of the Waters vor vier Jahren arbeiten Animal Collective hier viel mit Field Recordings, die mitunter fast gleichwertig in die soften elektronischen Flächen der 16 Tracks verwoben sind und eine Geräuschcollage erschaffen, die extrem einnehmend ist. Manchmal gehen dabei Naturgeräusche nahtlos in Synthetik über, manchmal gibt es kleinere bratzige Ausreißer wie in Wake Up Ryan oder Sloppy's Dream, manchmal spricht aber auch jemand. Alles hier hat insgesamt aber ein sehr angenehmes, flauschiges Hörgefühl, das wirklich nach innerer Einkehr und ruhigem Optimismus klingt. Wobei Crestone in seinen 34 Minuten nie langweilig wird, sondern oft sogar richtiggehend überraschend ist. Selbst wenn es hier keine visuelle Komponente dazu gäbe, wäre der musikalische Teil also ein ziemlich unfickbares psychedelisches Ambient-Album mit reichlich cleverer Sound-Tüftelei und atmosphärischer Magie dahinter. Was heißt wäre, es ist genau das, und damit mit Sicherheit eines der besten Projekte, die diese Band jemals zustande gebracht hat. Für mich persönlich ist das hier letztlich nicht nur ein guter Soundtrack oder ein an sich gelungener Longplayer, sondern irgendwie der Moment in der Karriere von Animal Collective, der mich endgültig davon überzeugt, dass sie wieder da sind und die Schlangenhaut ihrer früheren Inkarnationen abgelegt haben. Es bahnte sich nach den letzten paar Platten zwar schon irgendwie an, doch erst mit Crestone würde ich zum definitiv sagen, dass ihnen ein Meisterwerk gelungen ist. Eines, das für mich persönlich selbst manchem Highlight aus den Zwotausendern Konkurrenz machen kann. Und dafür müssen sie hier nicht mal ein Genre neu erfinden.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡🟢10/11

Persönliche Höhepunkte
Eye in the Sky | Boxing & Breathing | Scravengers | Wake Up Ryan | Sloppy's Dream | Sand That Moves | EBS | Sad Boy Sleeping | Ramshack | Smoke & Broken Mirror | Zapata Falls | Cotton Candy Sky (Dead God Theme)

Nicht mein Fall
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