Donnerstag, 4. Februar 2021

Black History Month 2021/1: And I Mean Every Word of It

Nina Simone - Nina Simone in Concert
NINA SIMONE 
Nina Simone in Concert
Philips
1964

 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ live | launisch | soulig | politisch ]

Dass Nina Simone eine großartige Künstlerin war, weiß ich vom Prinzip her schon sehr lange Zeit, genauso wie ich weiß, dass ihr kreativer Input immens wichtig für Popmusik insgesamt und insbesondere für die schwarze, politisch motivierte Soul-Szene gewesen ist. Kaum ein Name aus dem Bereich der Musik steht thematisch in so enger Verbindung mit der Bürgerrechtsbewegung der frühen Sechziger, der Simone so sehr den Soundtrack verlieh wie Creedence Clearwater Revival es für den Vietnamkrieg taten, und die mit der Zeit eigentlich nur noch relevanter wird. Unzählige Hiphop-Produzent*innen haben ihre Songs in den letzten Jahren zitiert und gesamplet, 2018 wurde sie in die Rock & Roll Hall of Fame aufgenommen (reichlich spät aber immerhin) und wie es sich bei den größten der Großen so gehört, existiert auch über sie ein furchtbar verklärendes Biopic. Viel ausschlaggebender ist jedoch nachträglich ihr Einfluss als politische Songwriterin, die gerade wieder eine junge Generation von Aktivist*innen inspiriert, welche ganz ähnliche Kämpfe führt wie in den Sechzigern. Dass Nina Simone klasse ist, bedeutet jedoch nicht, dass ihre Musik immer einfach ist. Bei einer so beliebten und einflussreichen Künstlerin wie ihr ist es ungewöhnlich, dass die Geschichte nie eine Art Opus Magnum von ihr zutage gefördert hat und ihr Output abgesehen von wenigen klassischen Tracks noch immer etwas obskur ist. Auch ich selbst fand es dabei lange schwierig, mich ihren Platten anzunähern und daraus wirklich einen Mehrwert zu ziehen. Was auch definitiv seine Gründe hat. Gerade in ihren besten Jahren als Musikerin war Simone oft das Stiefkind ihrer Plattenfirmen und Labelchefs, die sie in ein kommerzialisiertes Korsett zwangen und auf eine Weise zu vermarkten versuchten, die nicht ihrem eigenwilligen Naturell entsprach. Was für mich selbst Klassiker wie Pastel Blues oder Forbidden Fruit zu sehr durchwachsenen Releases mit viel seltsamem Füllmaterial macht. Doch fand ich über kurz oder lang doch noch meinen Streif am Horizont, der mir das musikalische Wunder dieser Frau offenbarte: Nina Simone live. Und hier wird es richtig interessant. Zugegeben, von den 21 Konzertalben (18 davon noch zu Lebzeiten!), die von ihr insgesamt erschienen sind, habe ich gerade Mal einen Bruchteil gehört und ich bin definitiv kein Experte dafür. Doch sind diejenigen, die ich kenne, ausnahmslos meine Lieblingsplatten in ihrem Katalog. Sobald man eine Bühnenaufnahme der Grand Dame hört, wirkt diese wie verwandelt und zeigt darauf ihr ungezähmtes und nicht selten extrem schräges Charisma in voller Pracht. Die schlicht Nina Simone in Concert betitelte Carnegie Hall-Aufnahme vom Frühjahr 1964 ist dafür in meinen Augen das eindrucksvollste Beispiel. Nicht nur weil es dieses performative Talent großartig abbildet, sondern auch weil Simone hier alle emotionalen Register zieht. Und das bei gerade Mal sieben Stücken in 35 Minuten. Schon das Repertoire der Platte ist dabei denkbar vielfältig. Auf drei Eigenkompositionen der Künstlerin kommen hier je eine Interpretation aus Gershwins Porgy & Bess, respektive Kurt Weills Dreigroschenoper, ein satirischer Folksong und zwei Nummern von Simones Debütalbum, das zu diesem Zeitpunkt schon fünf Jahre her war. Stücke mit großem Nachhall, von denen die meisten erst später entstanden, fehlen hier deshalb noch weitgehend. Doch ist es nicht die Beschaffenheit der Stücke an sich, die das hier besonders macht, sondern wie sie aufgeführt, gesungen und gespielt werden. Denn wenn diese Künstlerin die Bühne betritt, würde sie wahrscheinlich auch den billigsten Après-Ski-Hit in großen Soul verwandeln. Die oft recht minimalistisch gespielten und von einer kleinen Band begleiteten Klavierstücke leben durch Simones minutiöse und detaillierte Bearbeitung des Instruments, bei der man besonders in Songs wie I Loves You, Porgy und Don't Smoke in Bed auch ihre klassische Ausbildung heraushört. In wieder anderen kann sie aber genauso gut ein fetziges Bluesmotiv abreißen wie in Old Jim Crow oder einen pumpenden Walking Bass imitieren wie in Mississippi Goddam. Auch ist es cool, wie genial sie ihr Klavierspiel zu jeden Zeitpunkt mit der entsprechenden Gesangsperformance austariert, sodass am Ende wesentlich mehr entsteht als nur ein gut begleitetes Sololied. Und wenn es schon mal um Gesang geht, kommen wir an dem Punkt, an dem es erst richtig spannend wird. Denn gerade in diesen Live-Momenten erlebt man sehr oft, wie Nina Simone stimmlich alles an die Wand performt. Auf diesem Album im besonderen ist das ausnahmslos der Fall. Dabei ist sie nicht nur eine gute Sängerin, sondern gestaltet ihre Songs fast zu kleinen Kabarett-Aufführungen und Mini-Musicals. Die Arten und Weisen, wie das passiert, variieren dabei von Song zu Song. In einigen sehr ruhigen und intimen Nummern wie I Loves You, Porgy oder Plain Gold Ring hört man sie ein sehr filigranes Register fahren, Mississippi Goddam und Go Limp werden halb zu politischer Standup-Comedy und ihre theatralische Rezitation von Pirate Jenny (das Dreigroschenoper-Stück) ist in meinen Augen besser als die jeder ausgebildeten Schauspielerin, die ich je gesehen habe. Viel kommt dabei auch durch die Dynamik mit dem Publikum zustande. Besonders an der Stelle von Go Limp, an der Simone komplett den Text vergisst und beginnt, noch gute vier weitere Minuten des Songs improvisiert aus dem Ärmel zu schütteln. Oder in den kleinen Zwischenmoderationen von Mississippi Goddam. Gemessen daran, dass in all diesen Tracks kaum Soli oder längere Instrumentalpassagen gespielt werden, merkt man auch, wie viel hier an den Texten hängt. Wobei spätestens an diesem Punkt die politische Tragweite der Platte klar wird, die auf diesem Album sozusagen ihren Anfang hat. In Fankreisen gelten häufig die beiden 1965er-Studialben Pastel Blues und I Put A Spell On You als Startpunkte der "aktivistischen Karriere" von Nina Simone, tatsächlich ist diese Ausprägung aber schon hier mehr als deutlich. Wenige Monate nach diesem Konzert sollte der Civil Rights Act verabschiedet werden, weshalb hier schon sehr die Energie einer Bewegung und Veränderung zu spüren ist. Old Jim Crow ist ein triumphaler Abgesang an die Segregation in den Südstaaten, in Go Limp und Pirate Jenny finden sich viele Metaphern zum Thema Sklaverei und Diskriminierung und spätestens Mississippi Goddam, die einzige Single dieses Albums, ist eindeutig ein Protestsong. Mit ordentlich gerechtem Zorn wettert Simone hier gegen die rassistische Politik vieler südlicher Bundesstaaten und kommentiert sich dabei selbst mit einem bitterbösen Humor, der nochmal gewaltig nachtritt. Schon die kurze Anmoderation des Songs mit den Worten "and I mean every word of it" (wird vom Publikum mit Lachen quittiert) ist herrlich grimmig und in den fünf Minuten dieses letzten Titels steigert sich die Sängerin mit jeder Sekunde nochmal mehr in Rage. Was sich schon allein für das finale katharthische "God-DAMN!" lohnt, mit dem Simone endgültig den Saal auskehrt. Natürlich nicht ohne noch ein nonchalantes "that's it!" hinterherzuwerfen. Wenn man mich fragt ein Moment, der popkulturell auf einer Ebene mit dem Refrain von Fight the Power und der ersten Strophe von Bob Marleys War steht. Und zu großen Teilen eine Sache, die dieses Album ganz generell an sich hat. Ein absolut geniales Live-Dokument einer obszön talentierten Künstlerin wäre diese LP auch ohne den ganzen politischen Kontext, mit ihm jedoch wird es zu einem Statement mit Einzigartigkeit. Nach allen chameleonhaften Registern, die Nina Simone auf diesen sieben Tracks spielt, sind es die politischen Ausrufezeichen, die am meisten in Erinnerung bleiben und nochmal extra für einen Aha-Effekt sorgen. Hätte man das auf einem Studioalbum gehabt, wäre es vielleicht eher verhallt oder theoretisch geblieben. Doch so spürt man auch das Feuer, dass diese Frau unterm Hintern hat, wenn es um das Kundtun ihrer Meinungen geht. Weshalb man von Glück reden kann, dass es auf Platte gebannt wurde und man es immer noch genauso hören kann. Denn erledigt sind die Probleme, von denen hier gesungen wird, ja anscheinend nicht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡🟢🟢 11/11

Persönliche Höhepunkte
I Loves You, Porgy | Plain Gold Ring | Pirate Jenny | Old Jim Crow | Don't Smoke in Bed | Go Limp | Mississippi Goddam

Nicht mein Fall
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