Mittwoch, 17. Februar 2021

Es war doch alles schlecht

Audio88 & Yassin - TodeslisteAUDIO88 & YASSIN
Todesliste
Normale Musik
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ misanthropisch | politisch | schlau ] 

Dass der überwiegende Teil unserer unmittelbaren Gesellschaft nach etlichen Jahren schlechter Nachrichten langsam keinen Bock mehr hat, ist inzwischen kein neues Phänomen mehr. Irgendwo zwischen Klimawandel, Überbevölkerung, Pandemie, Rassismus, Patriarchat und Kapitalismus den Optimismus zu verlieren und einfach nicht mehr an das Happy End zu glauben, ist spätestens nach 2020 unter Menschen meiner Generation gefühlt ein Standard geworden und dass solche Stimmungen auch musikalisch verhandelt werden, ist richtig und wichtig. Gerade auch im Deutschrap hat sich dabei in den letzten zehn Jahren ein Feld von Künstler*innen wie Zugezogen Maskulin, Edgar Wasser und Der Täubling abgesetzt, die eine gewisse Misanthropie zum zentralen Element ihres Outputs machen und die - was für ein Zufall - auf diese Weise einige der besten Platten der letzten Dekade fabriziert haben. Wobei kaum jemand die Negativität und den gerechten Zorn dieser grundlegenden Stimmung so formvollendet vertont hat wie Audio88 aus Berlin. Spätestens mit seiner letzten Soloplatte Sternzeichen Hass von 2017 brachte er viele ekelhafte Zustände in Deutschland messerscharf auf den Punkt und war so hasserfüllt, dass man ihn dafür einfach lieben musste. Und weil 2021 davon nichts besser geworden ist, macht er natürlich auch weiter damit. Todesliste ist das bereits fünfte Album seiner andauernden Kollaboration mit Kollege und Kumpel Yassin, mit dem er mittlerweile eigentlich ein klassisches Deutschrap-Duo bildet. Ihr letztes gemeinsames Album Hallelujah erschien 2016, in der Zeit seitdem haben beide erstmal viel solo gearbeitet. Meine persönlichen Favoriten waren diese Art von Kollaborativ-Platten lange Zeit eher nicht, da es in meinen Augen doch eine recht große Diskrepanz in Talent und Performance der beiden gab. Wo Audio88 nach Normaler Samt, meinem Erstkontakt mit ihnen, sehr schnell einer meiner deutschsprachigen Lieblingsrapper wurde, war Yassin für mich immer nur ein Anhängsel, der recht wenig beitrug. Seine Parts waren zwar an sich auch zufriedenstellend und nicht selten clever, dabei aber nie mehr als die Summe ihrer Teile. Und vor allem als es in der Zwischenzeit fast parallel Soloplatten von beiden gab, wurde diese Fallhöhe nochmal besonders deutlich. Die gute Nachricht: Todesliste ist das erste Audio-und-Yassin-Album, das dieses Problem gar nicht mehr hat und auf dem Yassin in meinen Augen endlich gleich mal zieht. Mehr noch, in Tracks wie Todi sind seine Strophen sogar ein bisschen besser als diese des Kollegen. Was diesmal aber vor allem funktioniert, ist die Zusammenarbeit und die inhaltliche Fokussierung der beiden Rapper, die hier anscheinend die selben verachtenden Ansichten über viele ihrer Mitmenschen haben, die sie in die Welt herausschreien. Da geht es in Vater Mutter Kind um die Stigmatisierung armer Familien, in Fließbandjob um die Entfremdung vom Thema Rap, in Freunde um toxische Arschlöcher im Bekanntenkreis und in Ende in Sicht um die Vorfreude auf die nahende Apokalypse. Viele Songs sind dabei wieder mit dem fiesen, finsteren Sarkasmus geschrieben, der auch Sternzeichen Hass schon so gut machte und auch ein bisschen an die letzte LP von Testo und Grim erinnert. Musikalisch gibt es auch durchaus Parallelen zu K.I.Z oder der Antilopen Gang, wobei Todesliste im Unterschied zu denen definitiv kein Chartmaterial ist. Und auch nicht immer sind Audio88 und Yassin nur witzig-böse. Gerade in Songs wie Lauf oder Cottbus, die sich detailliert mit rechten Bewegungen in Deutschland auseinandersetzen, wird es schnell mal bitterernst und so gar nicht mehr komisch. Dass die beiden solche Stücke können ist mir neu, ich freue mich aber sehr darüber. Denn wichtig sind sie auf jeden Fall, und wenn diese beiden ihren Schalk verlieren, dann weiß man wenigstens, dass es wirklich nicht lustig ist. Das Konzept des gesellschaftlich angespitzten Rant-Tracks funktioniert auf Todesliste zwar nicht zu hundert Prozent gut (Gerade WUP ist mir persönlich manchmal ein bisschen zu on the nose), einige der Beats sind etwas latschig und an die lyrische Schärfe von Sternzeichen Hass kommen die beiden hier selten ran, trotzdem ist diese LP insgesamt ein gutes und vor allem relevantes Statement. Und letztlich macht es das, was ihm an kompositorischer Würze fehlt, mit seiner starken Eingängigkeit wett und hat somit vielleicht das Crossover-Potenzial, das ein Grim104, ein Täubling oder ein Audio88 solo nicht haben. Und dass mehr Menschen diese Songs hören, wäre definitiv ein positives Signal. Denn es macht zwar schlechte Laune, aber wenigstens mit Recht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡⚫⚫⚫ 08/11

Persönliche Höhepunkte
Schlechtes Gewissen | Plus 1 | Vater Mutter Kind | Lauf | Cottbus | Klingelton | Fließbandjob | Ende in Sicht

Nicht mein Fall
-

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen