Freitag, 26. Februar 2021

Erdgeist im Laptop

Dravier - Earth Mirage
DRAVIER 
Earth Mirage
Not Not Fun
2021

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ ätherisch | synthetisch | fließend ]

Das Artwork von Earth Mirage verrät uns eigentlich schon sehr gut, wo die Reise hier hingeht: Ein bewusst vergilbtes Kasetten-Layout in verhaltenen blau- und grüntönen, retrofuturistische Pixelschrift, ein etwas esoterisches Motiv im Blickfang: Auf dieser Platte wird es ätherisch und ein bisschen oldschool. Und selbst wenn die Musik von Caleb Draves aka Dravier eigentlich nicht in ein eindeutig definierbares Klischee passt, klingt sie trotzdem irgendwie vertraut. Nach Dokusoundtracks aus den Siebzigern und Achtzigern, nach meditativen New Age-Samplern, nach niedlichen Indiegames mit groben Framerates, nach Karel Svoboda und nach der mystischen Agenda von Vaporwave. Seit seinen ersten künstlerischen Schritten vor fünf Jahren hat Draves über 40 Alben und EPs veröffentlicht, von denen die meisten anscheinend in ähnliche Bereiche synthetisch-esoterischer Soundscapes fallen und zwischen Post-Internet und oldschooligem Ambientpop einen Mittelweg finden. Und Earth Mirage ist im weitesten Sinne einfach eine weitere davon. Auf stattlichen 61 Minuten fließen hier synthetische Schwaden ineinander, verbinden sich sanfte Rhythmen und bilden sich Flächen aus gleißender Klangtapete. Klangästhetisch hat der Ansatz des Kaliforniers dabei durchaus etwas von samplebasierter Vapor-Chiptune-Grundformel und erinnert an einige eher atmosphärische Projekte der Bewegung. Gleichzeitig ist er aber viel organischer, dicher und vor allem surrealer. An vielen Stellen wäre es in meinen sogar angebracht, das hier New Age zu nennen. Und dann ist da natürlich auch die ganze große Ambient-Vergangenheit, die dieses Album in sich aufsaugt. Von Tangerine Dream über Brian Eno und Aphex Twin bishin zu Tim Hecker und Nicolas Jaar lassen sich hier viele Einflüsse aus der langen Historie der nuancierten Stille herauslesen und dass Dravier ein Gespür dafür hat, wird sehr schnell deutlich. Allein die Geduld die er aufbringt, um Stücke wie Awakening, Shadow Brushes oder Coral über ungemütliche Längen zu ziehen und wie er dabei zwar repetetiv, aber niemals monoton wird, begeistern mich zutiefst. Und wenn es darum geht, wie er die Songs hier klanglich auskleidet, kann ich ebenfalls nur gutes sagen. Die Produktion hier ist vielleicht nicht ganz so detailliert wie die eines KJ Rothweiler oder Tim Hecker und trägt immer ein kleines bisschen retrofixierte Patina mit sich herum. Dennoch ergibt sich dadurch - ähnlich wie im Hiphop bei J Dilla oder Nujabes - eine ebenfalls sehr starke Atmosphäre, die noch ein bisschen wärmer und kuscheliger ist. Selbst in Tracks wie Sub Rosa Grotto oder Glass Steam Bath, in denen die Stimmung eigentlich eher unterkühlt ist. Und stimmig ist Earth Mirage auf jeden Fall durchweg. Auch wenn es vielleicht nicht geschadet hätte, eines dieser zehnminütigen Monster wegzulassen (kommt es halt auf die nächste, dieser Typ macht sowieso zehn davon im Jahr), wird das Album nicht effektiv anstrengend. Höchstens vielleicht, wenn man den Fehler macht, es analytisch zu hören. Als berührungsunintensives, ambientes Meditationswerk ist es aber absolut vorzüglich und ich kann es sehr empfehlen. Tatsächlich würde ich sogar sagen, dass diese LP eine sein könnte, mit der auch Ambient-Skeptische Hörer*innen recht gut in die Materie finden werden, da hier einfach klanglich sehr viel passiert. Und wer weiß, vielleicht bleibt es ja nicht mal die beste von Caleb Draves in dieser Saison. Die einzige wird es ganz bestimmt nicht bleiben.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
A Glass Steam Bath | Palm Dance | Soaring View | Shadow Brushes | Sub Rosa Grotto | Coral | Fractals | the Falls | Fisheye

Nicht mein Fall
Echo Dance

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