Samstag, 6. Februar 2021

Die zwei Konductaz

Madlib - Sound Ancestors MADLIB
Sound Ancestors
Madlib Invazion
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ instrumental | samplelastig | grantig | vielschichtig ]

Es passiert auf diesem Format recht selten, dass ein instrumentales Beattape seinen Weg hin zu einem vollwertigen Artikel schafft. Selbst dann, wenn dahinter so ein hochkarätiger und renommierter Künstler wie Otis Jackson Junior aka Madlib steht. Denn wenn ich eines aus seinem Output der letzten sieben Jahre gelernt habe, dann dass seine instrumentalen Releases für gewöhnlich die sind, die man ignorieren kann. Und Abstriche machen muss man bei seiner gigantischen Diskografie ja irgendwo. So sehr ich der allgemeinen Verehrung für den Kalifornier also auch zustimmen muss (er ist in meinen Augen vielleicht nicht so gut wie ein DJ Premier oder ein Alchemist, aber er verdient seinen Ruf), so sehr weiß ich auch, dass er seine besten Momente immer als Servicepartner für hauptsächlich Rap-lastige Projekte gewesen ist. Egal ob auf seinen mittlerweile legendären Platten mit MF DOOM und Freddie Gibbs, seinen Alben als Quasimoto oder seine immer wieder aufs neue überraschenden Produktionen für Leute wie Kanye West, J Dilla, MED und Yasiin Bey, Madlib versteht sich in meinen Augen am meisten darauf, eine Grundlage für die Arbeit von Vokalist*innen zu schaffen. Eine Sache, die ihm auf seinen Instrumentals nicht immer ganz so unterhaltsam von der Hand geht. Für mich ein Grund dafür, Sound Ancestors zunächst eher wenig BEachtung zu schenken. Was ich dabei nicht wusste: Das hier ist streng genommen gar kein Soloalbum von Madlib, sondern ebenfalls eine Art Kollaboration. Und das mit niemand geringerem als dem Londoner Indietronic-Legende Kieran Hebden aka Four Tet. Das Verhältnis der beiden auf den vorliegenden 16 Tracks ist dabei ebenso ungewöhnlich wie ergänzend. Denn statt direkt im Songwriting- und Sampling-Prozess dieses Albums einzusteigen, ist Hebden hier eher eine Art Kurator, der vor allem im Nachgang für Ordnung sorgt. Er arrangiert die wüsten Plunderphonic-Hauls des Hauptakteurs, mischt und mastert das Projekt und hat damit eine wichtige Draufsicht, die Madlibs Beatarbeit meiner Meinung nach schon lange gebraucht hat. Erst durch seinem Blick wirkt vieles hier irgendwie kohärenter, klanglich schärfer und intelligenter in der Anordnung. Dabei ist Sound Ancestors rein stilistisch ein ganz schön bunter Haufen an Ausgangsmaterial. Neben den Momenten mit klassischer Hiphop-Ästhetik wie the Call oder dem J Dilla-Tribut Two for 2 toben sich einzelne Phasen der Platte in spirituellem Jazz (im Titeltrack teilweise Free Jazz), Dub, Siebziger-Soul, Funk und Flamenco aus. The New Normal könnte mit seinen maschinellen Leads sogar ein obskurer Deep Cut von Daft Punk sein. Die cleveren und wie immer völlig abstrusen Beat-Ideen kommen dabei nach wie vor von Madlib, deren planvolle ästhetische Ausrichtung und Fokussierung dichte ich aber Hebden an, denn so gut wie hier habe ich sie noch nie gehört. Wenn man so will, dann gibt der selbsternannte 'Beat Konducta' ebendiesen Job hier zum ersten Mal an jemand anderem ab, mit eindrucksvollem Ergebnis. Wobei mich an der so entstandenen Musik auch fasziniert, wie wenig sie am Ende nach Hiphop klingt. Sicher, auch der sonstige Katalog von Madlib - selbst seine Musik mit Rapper*innen - passt nicht immer ins klassische Verständnis von Boombap, doch hat vieles hier nochmal eine ganz andere Energie. Mehr als an Hiphop erinnern mich viele Stellen auf Sound Ancestors an die fließenden Plunderphonic-Teppiche von Leuten wie den Avalanches oder Kid Koala. Eine Nische, in die Madlib meiner Meinung nach schon immer gut passte, aber nie wirklich hinwollte. Hebden als Electronica-geprägter Musiker allerdings scheint diese Potenziale zu verstehen und setzt sie hier entsprechend um. Mit der Folge, dass sich hier jene wunderbare DJ-Mix-Wirkung einstellt, die den vorliegenden Beats unglaublich gut steht. Es geht dabei nicht um Dinge wie perfekte Cuts oder Tanzbarkeit, sondern um ein Gefühl für Stimmung. Und das treffen die beiden Künstler hier vortrefflich. Aus meiner anfänglichen Ignoranz gegenüber Sound Ancestors ist binnen der letzten Woche die Überzeugung geworden, mit diesem Projekt eines der besten Alben von Madlib überhaupt bekommen zu haben, darunter definitiv das beste der letzten zehn Jahre (jaaaa ich weiß ihr mögt die Freddie Gibbs-Dinger, aber die fand ich nie so super). Vor allem begeistert mich aber die Idee, hier zwei sehr unterschiedliche kreative Ansätze zweier sehr unterschiedlicher Stilprägungen von beatbasierter Musik zu kombinieren. Und es provoziert die Frage, was in diesem Bereich vielleicht noch alles möglich wäre. Ein Nujabes-Remix von Jon Hopkins? Tim Hecker versus Scallops Hotel? Beide Versionen von James Blake? Oder am besten vielleicht noch eine weitere Platte dieser beiden hier? Ich für meinen Teil bin auf jeden Fall gespannt, ob und wie Madlib beziehungsweise Hebden von hier aus weiterarbeiten. Denn einen Stein ins Rollen gebracht haben sie hier auf jeden Fall.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡⚫⚫ 09/11

Persönliche Höhepunkte
the Call | Road of the Lonely Ones | Loose Goose | Dirtknock | Hopprock | Riddim Chant | Sound Ancestors | One for Quartabê / Right Now | Two for 2 - For Dilla | the New Normal

Nicht mein Fall
Theme De Crabtree

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