Freitag, 5. Februar 2021

Kleben bleiben

Bicep - Isles
BICEP
Isles
Ninja Tune
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ mechanisch | hypnotisch | verkopft]

Es gibt dieser Tage viele Mittel und Wege, wie selbst Künstler*innen ohne großes Promobudget und namensstarkes Major-Backing einen Hit landen können und die Gelegenheiten, in denen mich plötzliche Aufstiege völlig obskurer Acts wirklich noch überraschen, sind rar geworden. Als es 2017 mit Bicep und dem gigantischen Clubhit Glue passierte, war das eines dieser wenigen Male. Zwar hatte das Duo aus London schon damals einen heißen Deal beim Branchenriesen Ninja Tune und eine nicht völlig unfähige PR, ungewöhnlich war es trotzdem. Vor allem deshalb, weil diese beiden Jungs in meinen Augen alles andere sein wollten als eingängig. Was ich von meinem kurzen Tête-à-tête mit ihrem Debütalbum von damals noch weiß ist, dass ich es eher ziemlich anstrengend-IDMig fand und diese Gruppe daher in die Verwandtschaft von experimentellen Warp-Acts einordnete. Stattdessen haben sie irgendwie den Flume gemacht und ihre sehr mechanische, trockene Kompositionsweise erfolgreich an den Mainstream verkauft. Und wenn ihre zweite LP Isles eines ist, dann eine vollumfängliche Reaktion darauf. Nicht etwa in der Art und Weise, dass Bicep sich hier völlig dem Fame von Glue anbiedern und versuchen, noch zwei, drei mehr dieser One Hit Wonders zu produzieren, sondern eher indem sie eine gesunde Balance zwischen Catchiness und Entrücktheit finden. Noch immer kann man ihre Tracks nicht in konkrete Sungenres einordnen, die den Grundbegriff 'Electronica' spezifizieren, doch ist Isles schon mal wesentlich kohärenter in dem, was es von sich selbst will. Die Beats können hier immer noch kantig und gebrochen sein, wie in Glue wird sich aber mehr zur Melodie getraut. Das kann gemeinsam mit Gastperformances passieren wie in Saku, Rever und X, oder auch einfach mit sehr hochwertigem Sampling. Das Erfolgsrezept des repetetiven Hook-Motivs wird dabei in alle möglichen Richtungen optimiert und sehr kreativ kombiniert. In X klingt das nach robotischem Cyberpunk, in Apricots nach sommerlicher Festivalstimmung, in Atlas nach Neunziger-Technopop und in Saku nach den besten Momenten von Disclosure. Viele Tracks haben dabei grundsätzlich das Potenzial, der nächste Konsenshit zu werden, doch keiner davon kopiert den ersten zu sehr. Und statt sich hier nur darauf zu konzentrieren, mit einem fetten Banger einzulochen, distribuieren die Briten ihr Talent auf ein ganzes Album davon. Sicher gibt es am Ende auch ein paar Stücke wie Cazenove oder Lido, die sich eher wie Deep Cuts anfühlen, doch sind auch die genauso cool und erhalten den schnieken Groove der Platte aufrecht. Was Isles - ob nun mit Hit oder nicht - insgesamt zur stärkeren Albumleistung der beiden macht. Und das ist der Faktor, der mich letztendlich interessiert. An dieser Stelle bin ich deshalb froh zu verkünden, dass Bicep auch das inzwischen sehr gut können und damit langsam echt zu heißen Kandidaten in der Welt des Club-Elektro werden. Spätestens dann wahrscheinlich, wenn selbige wieder aufmachen dürfen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡⚫⚫ 09/11

Persönliche Höhepunkte
Atlas | Cazenove | Apricots | Saku | X | Rever | Sundial | Fir

Nicht mein Fall
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