Dienstag, 2. Februar 2021

Flatrate an der Cocktailbar

YEAHMAN
Ostriconi
Worldwheel Recordings
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ exotisch | sommerlich | organisch | relaxt ] 

Es gibt tief in mir drin sicherlich einen Teil, der einen Künstler wie Jean Dasso und dessen Herangehensweise an schnuffligen Downtempo-House in hächstem Maße verachtenswert findet. Ganz einfach deshalb, weil sie theoretisch so furchtbar belanglos und unreflektiert ist. Ihr wisst schon, Musik von der Art, die reiche weiße Leute auf einem Outdoor-Brunch, einem Wine-Tasting oder als Soundtrack für Urlaubsvideos total cool finden, weil sie für jeden Anlass so gut passt und schön unanstrengend daher plätschert. Musik von der Art, die ein subtiles Feeling von Clubbigkeit aufkommen lassen, ohne dabei wirklich clubbig zu sein, sondern eher in eine idyllische Strandbar gehört. Wobei wir im Fall von Yeahman sogar einen besonderen Härtefall haben, denn auf diesem Album finden sich zudem zahlreiche Einflüsse internationaler Folkmusik, die sehr offensichtlich dem alleinigen Zweck dienen, ein bisschen für exotisches Chic zu sorgen und noch mehr Urlaubsflair zu produzieren. In seiner Theorie ist Ostriconi also weder besonders intelligent noch besonders woke noch besonders cool. Ein absolut geniales Stück Musik ist es bei alledem trotzdem. Und das zu hundert Prozent deshalb, weil hier durchweg die Umsetzung stimmt, die richtige Atmosphäre angezapft wird und weil Dasso es schafft, so viele stilistische Puzzleteile unter einen Hut zu bringen. Die minimalistische, im Downtempo angesiedelte Ausgangsposition ist dabei schon mal ein denkbar guter Startpunkt. Zuerst mal deshalb, weil Downtempo an sich ziemlich cool ist und man damit selten was falsch macht, zum anderen weil es diesen ganz subtilen Shufflebeat-Untergrund für das baut, was Dasso anschließend melodisch zurechtzaubert. Im Großteil der Songs des Albums arbeitet er dabei mit Gastmusiker*innen zusammen, die oftmals die entsprechende Folklore-Expertise mitbringen und richtig gut sind. Auf Ouloullou ist das der nordafrikanische Gitarrist Omar Zidia, in Sueño Contigo die argentinische Multiinstrumentalistin Aluminé Guerrero, gleich auf mehreren Titeln die musikalische Weltenbummlerin Mina Shankha und so weiter. Und obwohl der kreative Input dieser vielen Features auf Ostriconi ziemlich gewaltig ist und sich die Platte teilweise eher anfühlt wie eine Sammlung von Remixes, bleibt doch stets eine grundlegende Idee und ein roter Faden, die für den adäquaten Flow sorgen. Das heißt obwohl man auf diesem Album abwechselnd elektronische Bearbeitungen von Tishoumaren, Bossa Nova, Afrobeat und Latinfolk hört, die von verschiedenen Künstler*innen aus der ganzen Welt intoniert werden, klingt das Ding am Ende wie aus einem Guss. Und das ist dann schon eine gewaltige Leistung auf Seiten des Hauptakteurs. Dass zwischen allem hier auch noch eine unglaublich dichte, bunte und herrlich organische Atmosphärik herrscht, macht es umso cooler. Sowohl durch den chilligen Lounge-Charakter der Beats als auch durch den diversen Flair der individuellen Gastbeiträge entsteht ein Album, das einerseits unfassbar nach Urlaub, Abenteuer und Lebendigkeit klingt, andererseits aber auch perfekt fürs heimische Sofa funktioniert. Und sicher ist Yeahman nicht das erste Projekt, dass diesen Spagat erfolgreich hinbekommt, doch ist es schon erstaunlich, wie sich hier ein Highlight ans nächste reiht. An einen mittelmäßigen oder gar schwachen Song ist auf Ostriconi nicht zu denken und kleinere Durststrecken innerhalb der Tracks verschwimmen im genialen Gesamtklang dieser Platte. Auf der Seite der Ausführung ist das hier also vor allem ein Exempel in Sachen Electronica-Handwerk. Und auch wenn es thematisch und konzeptuell darüber nicht hinaus geht oder vielleicht sogar etwas belanglos ist, ist das an der eigentlichen Musik überhaupt keine Kritik. Wenn überhaupt habe ich jetzt einen Grund, diese etwas besser zu verstehen. Und sollte ich irgendwann mal in die Verlegenheit kommen, ein Weintasting zu veranstalten, habe ich wenigstens jetzt schon den perfekten Soundtrack dafür.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡⚫⚫ 09/11

Persönliche Höhepunkte
Deelahli | Baixi Baixi | Soupe Feu | Sakoneta | Ouloullou | Sueño Contigo | GLI-F4 | Cariñito | Lecce 74

Nicht mein Fall
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