Donnerstag, 21. Mai 2015

Überläufer

CEREMONY
the L-Shaped Man
Matador
2015















Hardcore ist wohl auch nicht mehr das, was es mal war. Wäre es 1983 und Ceremony hätten diese Platte gemacht, hätten sie von ihren alten Fans wahrscheinlich richtig Stunk gekriegt. Keine Band, die gerade noch den direktesten Retro-Punkrock der Welt gemacht hat, wäre damals mit so einer Breitseite gekommen. Die Postpunk-Nerds waren damals schließlich ihr erklärter Feind. Zum Glück haben wir nicht 1983. Denn was die Kalifornier hier veranstalten, ist gar nicht mal verkehrt. Man wundert sich am Anfang schon ein bisschen, dass ausgerechnet Ceremony, die noch 2012 mit Zoo eine wunderbare Interpretation des Achtziger-Westküsten-Hardcore hinlegten, jetzt die Seiten gewechselt haben, aber dann hilft einem Google mit dem, was die Akteure wohl als Erklärung rechtfertigen: The L-Shaped Man ist ein Trennungsalbum. Mit dem neuen Sound soll eine emotionalere Ebene beim Hörer angesprochen werden und Melancholie in die Songs einfließen. Klingt ja erstmal nicht unlogisch. Aber sind gebrochene Herzen, Alltagsschmerz und Einsamkeit nicht eigentlich auch großartige Themen für Hardcore-Texte? Und was bewegt eine Band, die beim letzten Mal noch mit ziemlich pornösen Lyrics die dicke Hose markierte dazu, jetzt ein Trennungsalbum zu schreiben? Das hat schon bei Robin Thicke nicht funktioniert. Die Antworten darauf finden wir sicherlich am ehesten im Innenleben sowie in der Plattensammlung der Interpreten. Fakt ist, dass der neue Sound Ceremony nicht weniger gut steht als ihr vorheriger. Es ist ja prinzipiell nichts neues, dass wir es hier mit guten Vintage-Künstlern zu tun haben, denen etwas an Authentizität liegt. Folglich klingt the L-Shaped Man nach allem von Joy Division bis Interpol, das Otto Normalverbraucher mit dem Begriff Postpunk assoziiert. Verwandte Bands wie Viet Cong oder Holograms mögen dabei vielleicht die besseren Ideen und eine kratzigere Produktion haben, doch Ceremony steht der etwas poppige, noch teilweise Hardcore-verdreckte Charme eigentlich ganz gut. In Songs wie Root of the World kommt das wunderbar zur Geltung. Man soll die Herzschmerz-Texte von Ross Farrer diesmal ja auch verstehen können und erstmals merken, wie gut die eigentlich sind. Auch erwähnenswert ist, wie verdammt stylisch das Cover schon wieder geworden ist. Ein Detail, das the L-Shaped Man als tolles Album abrundet, welches als Dokument für sich selbst steht. Am besten, man sortiert es zeitlich pedantisch ein, damit man es wieder findet. In zwei Jahren machen Ceremony bestimmt schon wieder ganz was anderes.
9/11

Beste Songs: Exit Fears / Your Life in France / Root of the World

Nicht mein Fall: the Understanding

Weiterlesen:
Review zu Antics (Interpol):
zum Review

Review zu Viet Cong (Viet Cong):
zum Review

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