Sonntag, 24. Mai 2015

Erlebnisbericht: Querdaenker Festival 2015

Es ist Samstag um halb zwei morgens, als ein sichtlich fertiger, aber gut gelaunter Kristian Harting das AJZ in Leisnig verlässt. In schwarzem Jackett und edlen Lederschuhen wirkt der Däne im autarken Punk-Ambiente fast wie ein Exot, der sich im Wald verlaufen hat. Sein Konzert, aufgrund dessen das Querdaenker Festival in diesem Jahr überhaupt mein Interesse geweckt hat, habe ich zu meinem großen Bedauern verpasst. Dennoch waren die letzten zwei Tage ein durchaus denkwürdiges Wochenende, das musikalisch einiges zu bieten hatte. Zumindest genug, um ein wenig darüber zu schreiben.
Das vielleicht interessanteste am diesjährigen Lineup war die clevere Verknüpfung von regionalen Acts mit starken Headlinern. Dafür, dass wir es hier mit einem Do-It-Yourself-Projekt in einer sächsischen Kleinstadt mit nicht mal 7000 Einwohnern zu tun haben, lesen sich Namen wie Neonschwarz, Flyktpunkt und auch Harting ziemlich gut. Dass dabei den Lokalmatadoren genauso viel Achtung und Applaus entgegen gebracht wurde, finde ich auf gewisse Weise sehr beachtlich. Großes Lob an dieser Stelle dafür. Als man am Freitagabend pünktlich zur Primetime das Gebäude betritt, spielt gerade die lokale Hardcore-Kapelle Final Effort auf, die ihre gesamte Fanbase aus den Nachbardörfern rekrutiert hat. Schon da ist vor der Bühne eine Menge los, was um diese Uhrzeit eigentlich selten der Fall ist. Das Konzept geht also schon hier auf. Mindestens die dreifache Menge hat sich jedoch versammelt, als um kurz nach elf die Headliner Neonschwarz loslegen, die schon seit Stunden das große Gesprächsthema des Festivals sind. Gerade deshalb ist es vielleicht etwas unklug, das Konzert der Hamburger Antifa-Rapper auf die wesentlich kleinere Outdoor-Bühne zu legen, vor der nur die ersten Reihen wirklich etwas mitbekommen. Entsprechend groß ist dort auch das Gedränge, was die Band aber nicht daran hindert, ein solides Hit-Feuerwerk hinzulegen. Das Publikum ist textsicher und immer wieder wird das geplante Programm durch "Alerta! Alerta! Antifaschista!"-Schlachtrufe unterbrochen, die die Akteure nur zu gerne ins Set einbauen. Am Ende sind die vier Musiker_innen fast mehr von der Menge beeindruckt als andersherum und spielen eine gute halbe Stunde länger als geplant. Die halbe Stunde, in der ich mir eigentlich Kristian Harting angeguckt hätte. Nachdem auch der weg ist, haben sich die meisten Zuschauer verkrümelt und nur wenige bekommen noch das fette Set der Dresdner Trieblaut mit, die zu zweit so viel geschwitzt haben müssen wie fünf normale Musiker an einem Abend. Auch sie spielen gefühlte drei Stunden und beenden einen äußerst gelungenen ersten Festival-Tag. Wer noch weiter strampeln will, für den ist noch bis in die frühen morgen die DJ-Baracke geöffnet, in der ein paar hübsche Minimal-House-Filets kredenzt werden. Auch der Jamspace hat lange noch nicht Feierabend, wobei nur hartgesottene Festivalbesucher sich in die kleine Garage trauen, aus der die ganze Zeit Karaoke-Gassenhauer und dicke Rauchschwaden entweichen. Um diese Stunde ist der Großteil der Tagesgäste jedoch schon wieder abgereist und der Rest verschwindet langsam aber sicher auf den Zeltplatz.
Tag zwei auf dem Querdaenker beginnt denkbar gediegen mit ohne laute Musik und Soli-Frühstück am frühen Nachmittag, später gibt es das obligatorische Vorprogramm mit Vorträgen, Workshops und Kino. Man wirft ab und zu bedenkliche Blicke ans Firmament, doch der angekündigte Regen bleibt zum Glück den ganzen Tag aus. Ab 17 Uhr eröffnen an der winzigen Lagerfeuer-Bühne ein paar Songwriter-Typen das Live-Prozedere, einigermaßen voll wird es aber erst bei den Lokalmatadoren Toro Para Todos, die hier wieder den regionalen Bonus einfahren und eine ordentliche Menge vor dem zur Bühne umfunktionierten Teppichboden versammeln. Der irgendwo zwischen La Dispute und Captain Planet angelegte Posthardcore der Band hat aber auch für Ersthörer wie mich einiges zu bieten und die energische Show tut ihr übriges. Auf dieses erste Highlight des Abends sollen noch einige weitere folgen. Da sind zum einen Torpedo Dnipropetrowsk aus Leipzig, die mit ihrer ansteckenden Mischung aus diversen Folk-Genres sowie Surf und Reggae für mächtiges Gezappel im Publikum sorgen. Mit ihrem bunten Programm liefern sie die vielleicht beste Sause des gesamten Festivals und haben vor allem auch selbst einen Mordsspaß. Zum anderen spielen spät in der Nacht die Mathcore-Spinner von Lingua Nada, die ihre Frustration über das ungefähr fünf Mann starke Publikum an selbigem auslassen und neben einem astreinen Set vor allem durch grantige Sprüche, das Anspucken anderer Bandmitglieder, Berserkergänge vor der Bühne und eine zehnminütige Feedback-Sinfonie nach einer knappen halben Stunde Konzert auffallen. Zum Glück sind sie die letzte Band des Abends, denn nach ihrem Gig sind die Trommelfelle fürs erste durch. Erwähnenswert ist auch der Auftritt der Post- beziehungsweise Stoner-Metaller Pyrior direkt davor, dessen faszinierendstes Element die unglaubliche Ähnlichkeit des Gitarristen mit dem jungen J Mascis ist. Nach getaner Live-Arbeit verlegt sich die Hauptattraktion ein weiteres Mal in den Elektro-Bunker, wobei man heute mit einem etwas unprofessionellen DJ und bescheuerten Bruce & Bongo-Remixes vorlieb nehmen muss. Und auch wenn die Afterhour einen etwas faden Beigeschmack hinterlässt, hat der Samstag auch ohne großen Headliner mächtig Eindruck gemacht. Generell ist dieses Festival ein sehr schönes Beispiel dafür, was in einem so familiären Rahmen alles möglich ist. Das Querdaenker, welches sich offiziell ganz bescheiden als "Hoffest" titelt, hat dieses Jahr bewiesen, dass es auch richtig dick auftragen kann. Die Acts hier sind kein Pappenstiel für ein Projekt dieser Art und trotzdem fühlt man sich bei selbstgemachten Burgern, Tischkicker und vernünftigen Getränkepreisen fast wie auf einer Party bei Freunden. Insofern hat das Querdaenker vielleicht sogar einiges mehr zu bieten als manch "richtiges" Festival. Ich für meinen Teil würde mich freuen, ein weiteres solches zu erleben. Und dort vielleicht auch mehr Leute zu sehen. Ja, das ist als Schleichwerbung gemeint.

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