Mittwoch, 26. Mai 2021

Das wurde auch Zeit

Lambchop - ShowtunesLAMBCHOP
Showtunes
Merge | City Slang
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ kunstig | verschroben | erhaben ]

Ich habe in der Vergangenheit bereits an anderer Stelle darüber berichtet, wie die Band Lambchop aus Nashville auf diesem Format so etwas wie meine liebsten Sorgenkinder sind. Im Sinne einer an und für sich krass talentierten Gruppe von Musikern, die auch schon seit locker dreieinhalb Dekaden existiert, seitdem ich sie kenne aber niemals das eine Album gemacht hat, dass mich wirklich vollends überzeugen konnte. Und dabei haben diese Jungs echt schon alles versucht. Von Alt-Country bis Neoklassik und von Jazz bis Autotune hat die Formation in den letzten zehn Jahren jede Menge wilde Einflüsse in ihren Sound aufgenommen, die auch meistens ziemlich kreativ ausgeführt waren. Leider nie mit dem Resultat, ihrem riesigen Potenzial gerecht zu werden. Sicher waren die meisten Versuche dabei grundsätzlich gelungen, wie auf dem schwermütigen Mr. M von 2012, dem amerikanesken Flotus von 2016 oder auch dem gehaltvollen Doppelalbum Aw, C'mon / No You C'mon von 2004, den letzten Schritt zum persönlichen Favoriten, den sie definitiv in sich hatten, schafften Lambchop für mich aber nie. Und neben ihren guten Sachen gab es eben auch immer wieder Totalausfälle wie This (Is What I Wanted to Tell You) von 2019 oder dürftige Sachen wie Trip aus der letzten Saison, die meine Hoffnungen zwischendurch komplett zunichte machten. Doch bin ich eben auch jemand, der bei so einer Band stoisch abwarten kann, bis diese vielleicht doch noch diese eine große Platte macht. Zum Glück, möchte ich sagen, denn 2021 habe ich diese nun auch von dieser Formation bekommen. Wenn auch nicht auf die Art, wie ich mir das vielleicht vorgestellt hatte. Denn mit Showtunes machen die Amerikaner nicht weniger als ihre seltsamste und kunstigste LP seit Ewigkeiten. Nicht, dass Lambchop nicht schon vorher irgendwie quirky waren und ein bisschen Schalk im Nacken für ihre musikalischen Konzepte auch nötig war, doch habe ich zumindest in der guten Dekade, die ich ihre Songs jetzt höre, keine solche Breitseite gehört. Das hier ist ein Album, das größtenteils über Sachen wie klare Songstrukturen, harmonische Melodiefolgen und kompositorischen Fokus hinauswächst und sich bisweilen eher im Raum eines verschrobenen Klangkunstwerks bewegt. Zwar irgendwie noch immer mit einer starken Atmosphärik und gewissen klassischen Schönheitsmomenten, die aber höchstens als Elemente einer verzerrten Collage auftreten, an deren Ästhetik man sich erstmal gewöhnen muss. Vom Sound her hat Showtunes in erster Linie viel gemein mit den letzten Releases von Leuten wie Leonard Cohen und Nick Cave, was stilistisch auf jeden Fall eine stringente Entwicklung für Lambchop ist. Von der Struktur der Stücke fühle ich mich hier aber eher an Sachen wie Destroyer, Xiu Xiu oder Julia Holter erinnert, wenn auch in wesentlich weniger aggressiv. Dass diese LP sehr experimentell und ungewöhnlich ist, heißt lange nicht, dass sie gleich ungemütlich sein muss. Selbst Sachen wie die operettigen Vocals in the Last Benedict, der krude Beat in Drop C oder die boniveresken Autotune-Effekte, die Kurt Wagner ständig auf seine Gesangsparts packt, stören die erhabene Ästhetik vieler Songs nicht, sondern treiben sie nur in eine andere, überraschende Richtung. Mit dem Effekt, dass Showtunes zwar ein sehr unberechenbares Album ist, dabei aber auch bewundernswert kohärent bleibt. Es sind viele kleine Elemente, die die Songs hier immer wieder zusammenschweißen und über die vielen Holperpfade letztlich doch einen sehr logischen Bogen spannen. Mit dem Nebeneffekt, dass die LP sehr ruhig bleiben kann, zwischendurch nie spröde oder monoton wird. Es ist somit nicht nur beeindruckend, wie gut hier ingesamt alles klingt, es ist mir auch schleierhaft, wie zum Teufel Lambchop das fertig gebracht haben. Was das Ergebnis letztlich doppelt beeindruckend macht. Und ich will ehrlich sein: Gerade nach den ziemlich dürftigen letzten beiden Platten hatte ich mit so einem redemption ark bei dieser Band nicht gerechnet. Aber das ist eben das schöne an Talent: Wenn es da ist, dann kommt es irgendwann auch zum Vorschein. Manchmal muss man nur ziemlich lange warten.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡⚫⚫ 09/11

Persönliche Höhepunkte
A Chef's Kiss | Drop C | Papa Was A Rolling Stone Journalist | Fuku | Unknown Man | Blue Leo | Impossible Meatballs | the Last Benedict

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Nick Cave & the Bad Seeds
Ghosteen

Leonard Cohen
Thanks for the Dance


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