Dienstag, 18. Mai 2021

Drehleier im Club

Baiuca - EmbruxoBAIUCA
Embruxo
Raso Estudio
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ meditativ | schamanisch | folkloristisch ] 

Ich habe ja des öfteren ein bisschen meine Schwierigkeiten mit gewissen Projekten aus dem Bereich des chillesken Folktronica und der Art und Weise, wie diese mit traditionellen Einflüssen internationaler Volksmusik umgehen. Wir reden dabei nicht selten von Producer*innen aus Europa oder Nordamerika, die es cool finden, sich in ihren Songs quer durch das Gemüsebeet von Folk-Gattungen aus aller Welt zu samplen, ohne dabei auf die kulturellen Zusammenhänge dieser Stile einzugehen oder eine irgendwie geartete Repräsentation entsprechender Künstler*innen (die ja häufig nicht aus so privilegierten Szene-Kontexten kommen) zu gewährleisten. Entsprechend erfrischend ist es demzufolge, mit Baiuca ein Projekt zu hören, dass tatsächlich aus einer solchen Community kommt und den Crossover ins elektronische aus dem Gebiet der Volksmusik heraus vornimmt. Zwar reden wir in diesem Fall ebenfalls von einem Europäer, genauergesagt dem Produzenten Alejandro Guillán aus Madrid, der in seinen Songs allerdings die Ästhetik einer Folk-Tradition umsetzt, aus der er selbst stammt. Die klangliche Mission von Baiuca ist dabei eine Art clubbige Aufarbeitung der Musik seiner Heimat Galizien, die er mit Embruxo zum zweiten Mal auf LP-Format bindet. Über die stilistischen Spezifika der regionalen Kultur (und somit auch Musik), die mit ihren ausgeprägten keltischen Einflüssen in Südeuropa einigermaßen exotisch ist, könnte ich hier einen ganzen separaten Artikel füllen, gesagt sei aber soviel: Als musikhistorische Nische in der westeuropäischen Kulturlandschaft ist das hier eine Entdeckung wert. Und die LP in diesem Sinne eine geniale Übersetzung von traditionellen Elementen in die internationale Sprache des Elektropop. Rein klanglich könnte jeder Track von dieser LP locker Schulter an Schulter mit Sachen von Bonobo, Jamie XX oder der Thievery Corporation stehen, mit dem kleinen Unterschied, dass man hier statt Dub- oder Afrobeat-Einflüssen eher Dudelsäcke, Mandolinen, Flöten und Drehleiern hört. Ferner gibt es in so gut wie jedem Track Gastparts von Künstler*innen, die aus dem Kontext der Folk-Szene Galiziens kommen und die ihre Spuren hier live einspielten, beziehungsweise -sangen, was sowohl klanglich als auch ideell nochmal einen großen Mehrwert ausmacht. Wirklich tanzbar ist Embruxo dabei zwar nur stellenweise, das meiste passt eher in einen chillig-loungigen Downtempo-Kontext, allerdings mit einer durchweg sehr perkussiven und rhythmischen Komponente. Rein ästhetisch hat das hier also eher was von ein paar gut gemachten Goat- oder Dikanda-Remixes. So oder so ist die klangliche Welt, die Baiuca hier aufbaut, aber eine sehr reichhaltige, klanglich spannende und auch technisch super umgesetzte. Und nicht nur hört sich das hier gut nebenbei, man hat außerdem den Effekt, dass dieses Album die traditionelle Volksmusik einer besonderen Kulturregion richtig aufbereitet, statt sie auszubeuten. Zu einem Ultranerd für galizische Volksmusik werde ich davon jetzt zwar auch nicht, ich bin aber definitiv der Meinung, dass diese LP als Einstiegsdroge funktionieren kann. Ansonsten tut sie das natürlich auch ganz kontextfrei als Soundtrack fürs gediegene Anfeiern am Freitagnachmittag. Also sobald man das sorglos wieder machen kann.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡⚫⚫ 09/11

Persönliche Höhepunkte
Meigallo | Veleno | Embruxo | Luar | Romaría | Conxuro | Lavandeira | Lobeira

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Dikanda
Ajotoro

Bonobo
Migration


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