Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt
Antilopen Geldwaesche | Warner
2021
[ melancholisch | kabarettistisch | schlicht ]
Eines kann ich euch schon jetzt garantieren: Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt wird ein Album sein, über das die Leute spätestens am Ende des laufenden Jahres wieder reden werden. Nicht nur wegen des viralen und vieldiskutierten Titeltracks, nicht nur wegen des bewussten Stilbruchs und nicht nur wegen Polizist*innen auf Twitter, sondern einfach, weil dieses Album so überhaupt nicht zu erwarten war. Es ist in Zeiten von singenden Rapkünstler*innen und Monogenre zwar keine besondere Sache mehr, wenn jemand wie Danger Dan so stilfremde Musik schreibt und schon in den letzten Jahren hatte der Aachener einen gewissen Hang zu Prinzen-Nostalgie und balladigem Kitsch, trotzdem kam diese Platte für mich aus dem Nichts. Denn sie ist nicht nur irgendwie poppig und so gar nicht rappig, sie ist fast schon kabarettistisch, fast schon sinfonisch, fast schon ein Kammerstück. Und mit diesen Eigenschaften ist es auf irgendeine Weise wahrscheinlich eines der seltsamsten Mainstream-Alben, die dieses Jahr erscheinen werden. Wobei selbiger Faktor für mich sowohl zu seinem Vor- als auch seinem Nachteil funktioniert. Beginnen kann man dabei am besten mit dem Titelsong, den ich inhaltlich und im Sinne eines Statements für ein extrem cleveres Stück Musik halte, der mich musikalisch aber eher wenig packt und sich damit ähnlich verhält wie schon viele Sachen der Antilopen Gang. Es ist irgendwie politisch und hat einen klaren Standpunkt, will aber auch witzig und eingängig sein und verheddert sich dabei etwas in sich selbst. Außerdem heiligt der Zweck hier zu sehr die Mittel, da dieser Track eigentlich auch nur seiner (zugegebenermaßen guten) Pointe wegen existiert und für die realen Konsequenzen, die er womöglich haben wird. Und es gibt nicht wenige Songs auf dieser Platte, bei denen ich ähnliches fühle. Die Art wie in Ich verprügelte die Sextouristen in Bangkok das Thema Gewalt verhandelt wird oder Dan in Das schreckliche Buch die bittere Ironie des Zeitgeschehens besingt, haben etwas komödiantisches, das ich an Popmusik generell selten mag. In den besten Momenten ist das dann wenigstens tatsächlich witzig, in anderen hat es was von einem schlechten Heute Show-Sketch. Oder noch schlimmer, von gesungenem Kabarett-Musiktheater. Und wäre das alles, was Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt zu bieten hat, würde ich es mit ziemlicher Sicherheit hassen. Nur gibt es eben diese anderen Momente, in denen Dan tatsächlich mehr schafft als ein paar satirisch-politische Kalauer und sich irgendwo zwischen Sebastian Krumbiegel und Rio Reiser als echt talentierter Songwriter entpuppt. Dass Songs wie Tesafilm, Lauf davon und vor allem (vor allem!) Eine gute Nachricht dann irgendwie die eher unpolitischen sind, ist kein Zufall. Denn was der Künstler hier hinbekommt, ist in den besten Momenten zeitlose Popmusik, die völlig unabhängig von irgendwelchen Zuordnungen klasse gemacht ist und die mich gerade dadurch absolut durch die Decke schiebt. Und an dieser Stelle finde ich es dann wieder schade, nicht mehr davon zu hören. Wobei es letztendlich schwer wird, Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt auf eine durchschnittliche Gut-oder-Schlecht-Bewertung herunterzubrechen. Praktisch gesehen verfügt dieses Album sowohl über einige der besten als auch eine der schlechtesten Momente meines bisherigen Musikjahres und die Abstände klaffen hier tief. Grundsätzlich ist es dabei allerdings auf der positiveren Seite der Veröffentlichungen von Antilopen und Anhang und die okayen Stellen überwiegen leicht die fragwürdigen. Weshalb ich auf jeden Fall zuversichtlich bin, dass es am Ende so sein wird, dass ich die guten Sachen an dieser LP bei mir behalten werde und die doofen hoffentlich einfach vergesse. Zumindest wenn ich endlich den elend penetranten Ohrwurm des Titeltracks losgeworden bin.
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11
Persönliche Höhepunkte
Lauf davon | Trotzdem | Ingloria Victoria | Eine gute Nachricht | Tesafilm
Nicht mein Fall
Das schreckliche Buch | Topf & Deckel
Hat was von
Sebastian Krumbiegel
Tempelhof
Bodo Wartke
Klaviersdelikte
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