Sonntag, 23. Mai 2021

Take the Wheel

Olivia Rodrigo - SOUR OLIVIA RODRIGO
Sour
Olivia Rodrigo PS
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ adoleszent | melodramatisch | herzschmerzend ]

Wenn man den reinen Zahlen glaubt, dann ist Olivia Rodrigo schon lange der größte Popstar des Jahres 2021. Ihre allererste richtige Single Drivers License von Anfang Januar hat in den Staaten bis zum jetzigen Zeitpunkt diverse Verkaufs- und Streamingrekorde purzeln lassen, sie selbst ist dort schon seit Monaten in aller Munde und ihr vor wenigen Tagen erschienenes Debüt Sour wurde von Fans und Presse mehr als sehnsüchtig erwartet. Natürlich kommt dieser plötzliche Riesenerfolg nicht einfach so aus dem Nichts, viel eher wurde er wahrscheinlich seit Jahren antizipiert und unterstützt. Ähnlich wie vor ihr schon Justin Timberlake, Britney Spears, Ariana Grande oder Miley Cyrus ist Rodrigo Teil der niemals müde werdenden Teeniestar-Rampe des Disney-Channels, bei dem sie seit ihrer frühen Jugend wichtiger Teil von gleich zwei quotenstarken Produktionen war. Anders als besagte Sternchen scheint ihr Erfolg als Musikerin aber nicht direkt an diese Art von Kaderschmiede anzuschließen, zumindest nicht im Sinne einer ausgebufften Reißbrett-Strategie von irgendwelchen Manager*innen. Sicher, es gibt im Hintergrund dieses Albums ein anscheinend ziemlich komplexes Gossip-Universum um sie und ihre ehemaligen Co-Stars von Disney (die ganz zufällig auch alle ein Debüt in der Pipeline hatten oder haben), das irgendwie sehr soapig wirkt. Doch finde ich es unabhängig davon beeindruckend, wie Olivia Rodrigo sich gerade als Künstlerin aufbaut und von Anfang an sehr unabhängig macht. Auf kreativer Ebene erscheint sie dabei eher als die natürliche Konsequenz als Leuten wie Lorde oder Billie Eilish, die in der vergangenen Dekade eine angenehm selbstbestimmte Variante des Teen-Popstars etabliert haben, die aus eigener Kraft heraus enststeht. So ist die musikalische Persönlichkeit Olivia Rodrigo, die vor allem über ihren eigenen Tiktok- und Instagram-Kanal kommuniziert und promotet, ganz klar abgetrennt von der Olivia Rodrigo bei Disney, Sour erscheint darüber hinaus auf einem eigenen Sublabel mit größerer kreativer Kontrolle und wurde zum größten Teil mit nur einem Co-Songwriter und Produzenten realisiert. Unabhängig davon, wie ich diese Platte musikalisch finde, möchte ich also erstmal meinen Respekt für dieses Businessmodell ausdrücken, das anscheinend auch immer mehr junge Pop-Künstler*innen für sich entdecken und das sehr wahrscheinlich auch cooler von einem Standpunkt der mentalen Gesundheit ist. Dass wir mit Olivia Rodrigo in wenigen Jahren ein Brintey Spears 2007-Szenario erleben, ist von Anfang an eher unwahrscheinlich und das finde ich gut. Über die Musik auf Sour kann ich das leider nur teilweise sagen. Wobei ein positiver Aspekt auf jeden Fall ist (und auch das hat mit dem Aufbau dahinter zu tun), das diese Stücke definitiv klingen, als würde die Künstlerin sie ernst meinen. Es fällt mir sehr angenehm auf, dass dieser LP vermutlich niemand dahinter stand, der Sachen sagte wie "ich höre da noch keine Single" oder "so was trauriges wollen die jungen Leute nicht hören". Was auch quatsch gewesen wäre, denn nicht nur ist der besagte megaerfolgreiche Promo-Hit eine schmonzettige Storytelling-Ballade, die sich kein bisschen nach einem Hit anfühlt, sie ist auch einfach ein ziemlich guter Song. Je öfter ich Drivers License in den letzten Wochen gehört habe, desto mehr konnte er mich in seine Welt einverleiben und noch immer bin ich mir sehr sicher, dass er eines der besten Stücke auf Sour ist. Im wesentlichen allerdings auch deswegen, weil der gleiche Song auf dem Album noch in mindestens zehn sehr ähnlichen Varianten auftaucht und dabei nie wieder so gut klingt wie beim ersten mal. Das Konzept der adoleszenten Trennungsballade scheint Rodrigos wesentliche Inspiration für ihr Debüt gewesen zu sein, lediglich der erste und der letzte Song handeln von etwas anderem als Herzschmerz und Ärger mit dem Ex. An sich wäre das auch okay so, Platten mit dieser Thematik gibt es viele sehr gute. Nur ist Sour keine LP, die dieses Grundgefühl in verschiedenen Songs auch auf verschiedene Arten austragen. Die Story hier ist stattdessen immer die gleiche: Er hat sie verlassen, sie war traurig, er findet blitzschnell eine neue, sie ist sauer. Die meisten dieser Tracks sind dabei in sich gut geschrieben und singen kann Rodrigo auf jeden Fall, doch nachdem man nun schon Drivers License für mehrere Monate ständig hörte, verliert diese Art von Leier hier doch sehr schnell ihren Reiz. Was schade ist, denn dass diese Frau prinzipiell über etwas anderes schreiben kann, zeigen die beiden besagten Ausnahmen ziemlich gut. Der Closer Hope Ur Ok behandelt das Entkommen aus einer schweren Kindheit und Brutal den nervtötenden Struggle des Erwachsenwerdens. Vor allem letzteren Song mag ich dabei besonders, weil er sehr rockig und rotzig geschrieben ist und zusammen mit dem klangästhetisch ähnlichen Good 4 U ein bisschen Action unter die vielen Klavier- und Akustikballaden bringt. Solche Momente zeigen mir dann immer, dass Rodrigo eigentlich eine ziemlich vielfältige Songwriterin sein könnte, hier aber trotzdem immer wieder den einen bewährten Weg geht. Für den Moment ist das nicht dramatisch, da sie a) anscheinend etwas zu verarbeiten hat und b) das hier ihr erstes Album mit gerade Mal 18 Jahren ist. Doch würde ich es in Zukunft definitiv schön finden, mehr von dieser Kreativität zu hören. Denn grundsätzlich sehe ich durchaus ein gewisses Talent in dieser jungen Frau, das mich neugierig macht. Und wahnsinnig erfolgreich ist sie ja sowieso schon.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Brutal | Drivers License | 1 Step Forward, 3 Steps Back | Good 4 U | Hope Ur Ok

Nicht mein Fall
Traitor | Happier


Hat was von
Harry Styles
Harry Styles

Taylor Swift
Fearless


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