Montag, 3. Mai 2021

Der gute Mensch von Offenbach

Haftbefehl - Das schwarze AlbumHAFTBEFEHL
Das schwarze Album
Azzlacks
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ progressiv | nachdenklich | düster | erzählerisch ] 

Spätestens seit seinem opulenten Comeback im letzten Jahr ist die Marke Haftbefehl gefühlt noch einmal größer geworden als sie das vorher ohnehin schon war. Stand 2021 beschäftigen sich mit dem Phänomen aus Offenbach nicht mehr nur Rapmedien und das Feuilleton, mittlerweile sind auch die Lokalradios und dritten Programme, sowie einige Nischenfans aus Übersee nachgezogen. Dass der Rapper inzwischen für eine ganze Generation sowas wie ein Sprachrohr ist, lässt sich dabei schon lange nicht mehr kleinreden und seinen künstlerischen wie kulturellen Einfluss auf die deutschsprachige Popkultur in den letzten Jahren kann man heutzutage fast schon mit den Ärzten oder Udo Lindenberg vergleichen. Dass er mit dem weißen und dem schwarzen Album direkt hintereinander zwei äußerst spannende Platten back to back veröffentlicht hat, tut da natürlich sein übriges. Was musikalisch dabei vor allem spannend ist und mich ganz persönlich interressiert, ist wie Haftbefehl darauf versucht, seinen klassischen Stil ein bisschen vom Fleck zu bewegen und wirklich innovativ zu sein. Auf den extrem erfolgreichen, aber inzwischen auch reichlich durchgenudelten Banger-069-Chabos-Style seiner Musik hat er nach eigener Aussage keine wirkliche Lust mehr und probiert sich deshalb sowohl klanglich als auch lyrisch als erwachsenerer Storyteller aus. Und dass das auf dem weißen Album vom letzten Jahr noch nicht immer wirklich funktionierte, heißt in meinen Augen nicht, dass die Idee nicht gut ist. Von seinen Texten und seiner Sprache her hatte Haftbefehl sowieso schon immer das Zeug, die Themen von Einwanderung, Gangkriminalität, Depressionen und Drogen empathisch zu kommunizieren und wurde ja auch dadurch zu so einem wichtigen Chronisten des Rap. Wo das früher aber immer ein Balanceakt mit Macker-Attitüde und Clubtauglichkeit seiner Songs war, wurde der inhaltlichen Idee zuletzt mehr Platz eingeräumt. Hausproduzent Bazzazian baute dazu passend zunehmend ätherische und cloudrappige Beats, die diesen Themen auch Vibe-mäßig besser begegneten. Das schwarze Album sollte als Gegenpart des Comebacks von 2020 nun eigentlich wieder eine Platte werden, mit der Haft diesen Stilbruch ein wenig ausgleicht und die Hits liefert, auf die der Vorgänger bewusst verzichtete. Wieder mehr Banger, wieder mehr Drugtalk, wieder mehr vom alten Haftbefehl. Wobei das Ergebnis letztendlich doch eher eine ziemlich gute Mischung aus beiden Versionen geworden ist. Klar gibt es hier verstärkt wieder recht vertraute Nummern wie Ruff, Kokaretten oder Cripwalk aufm Kopf, die stark an seine Russisch Roulette-Phase erinnern, weg sind die neuen Einflüsse vom letzten Jahr aber nicht. Auf Tracks wie Kaputte Aufzüge, EMSF oder Offen / Geschlossen ist der düster-meditative Vibe des weißen Albums nach wie vor sehr präsent und nicht selten auch ein wenig besser umgesetzt. Verantwortlich für die besten Momente ist dabei erneut Bazzazian, der hier unglaublich kreativ und progressiv die Haft-Marke weiterentwickelt, und auch der Chef selbst weiß inzwischen besser, wo er mit dieser neuen Stilistik hin will. Das schwarze Album ist das erste Mal, dass ich ihn als Sänger wirklich zu schätzen lerne und sein fantastisches Storytelling zieht sich hier auch wirklich durch das ganze Album. Gerade Tracks wie Kaputte Aufzüge oder Wieder am Block zeichnen eindrückliche Bilder einer Lebensrealität, die an manchen Stellen fast schon cineastisch ist. Ein paar grobe Ausfälle gibt es aber trotzdem noch. Da ist zunächst mal die Art und Weise, wie Haftbefehl versucht, politische Statements zu setzen, was schon früher nicht sein größtes Talent war. Und hier ist es besonders schlimm, weil gerade Stücke wie Leuchtreklame oder EMSF mitunter recht aluhütige Töne anschlagen. Ebenfalls schwierig wird es hier beim Thema Features, bei dem ich nach wie vor die Strategie nicht verstehe. Erstmal finde ich, dass für ein so persönliches Album zu viele Fremde Leute am Start sind, zum anderen sind die Parts im einzelnen sehr durchwachsen. Die Bausa-Strophe in Leuchtreklame macht den Song wie erwartet um einiges schlechter, Farid Bang in 24/7 ist einfach ziemlich unnötig und Soufian meint es in Wieder am Block gut, bleibt aber einfach die schwächere Version seines Mentors. Tolle Ausnahmen sind auf der anderen Seite die geniale Hook von Haiyti in Cripwalk aufm Kopf und Lucianos abgebrühter Part in Ruff. Grundsätzlich muss ich dabei sagen, dass die neue künstlerische Identität von Baba Haft immer noch hier und da hinkt, aber schon wesentlich klarer formuliert ist als auf dem Vorgänger. Und wo man auf dem weißen Album bestenfalls erkannte, wo die Reise hingehen soll, zeigt diese LP, dass auf dem Weg dahin nicht falsch abgebogen wurde. Wobei ich auch denke, dass die Ideen hier noch wesentlich weiter ausgebaut werden können. Und ich hoffe irgendwie, dass die Schwarz-und-Weiß-Platten in dieser Hinsicht nicht nur ein Exkurs waren. Denn dass Haftbefehl mit dieser Ästhetik noch mal ein richtig gutes Gesamtwerk macht, gönne ich ihm definitiv. Beweisen muss er damit eh niemandem mehr was.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Kaputte Aufzüge | Wieder am Block | Kokaretten | Crackküche | Offen / Geschlossen | 24/7 | Lebe Leben | Ruff | Cripwalk aufm Kopf | EMSF

Nicht mein Fall
4 K🙊n🙊ck🙊n | Du weißt dass es Haft ist
 
 
Hat was von
Capital Bra & Samra
Berlin lebt 2
 
Ufo361
Ich bin 3 Berliner

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