Mittwoch, 4. November 2020

Angewöhnte Exzellenz


 
 

[ edel | ostküstig | klassisch ]

Über kaum ein Thema habe ich dieses Jahr hier so viel und so begeistert geschrieben wie über Griselda Records und rein an der schieren Quantität an Veröffentlichungen lässt sich ablesen, dass diese Jungs 2020 schwer zu umgehen waren. Stand November gibt es allein von Westside Gunn und Conway the Machine jeweils zwei vollwertige Alben aus dieser Saison, nicht zu sprechen von diversen Kollabo-EPs, kleineren Mixtapes und den ebenfalls nicht zu verachtenden Releases der Griselda-assoziierten Newcomer-Hoffnungen Flee Lord uns Armani Caesar. Was zumindest genügend Veröffentlichungen waren, um ziemlich gut zu kaschieren, wie verhältnismäßig ruhig es dieses Jahr um Benny the Butcher, den dritten großen Namen des Labels, war. Ein einziges Mixtape gab es von ihm im Frühjahr und selbst dort spielte er nur die zweite Geige hinter Kollege 38 Spesh. Sein letztes richtiges Album indes ist zu diesem Zeitpunkt noch immer Tana Talk 3 von 2018, sprich die LP, die Griselda damals überhaupt erst zum szeneweiten Gesprächsstoff machte. Dass Burden of Proof jetzt erscheint, ist also prestige-technisch nochmal eine ganz andere Sache als die neuen Alben seiner Homies Conway und Westside, zumindest war das meine Vermutung. Wenn eine Sache bei diesem Label so lange dauerte wie diese LP, dann musste es schon etwas besonderes sein, in das viel Arbeit investiert wurde. Und obwohl diese Ahnung prinzipiell nicht unrichtig war und vieles hier tatsächlich etwas aufwändiger und edler klingt als sonst bei diesen Jungs, ist diese Platte doch eine ganz andere Sache als ich mir das vorgestellt hatte. Vor allem insofern, dass sie sich an vielen Punkten nicht wie ein Griselda-Projekt anfühlt. Zwar ist auch Burden of Proof ohne jeden Zweifel ein traditionell inspiriertes Gangsterrap-Album mit starker ästhetischer Verortung in der New Yorker Szene und reichlich kitschigen Mafioso- und East Coast-Anspielungen, doch ist es in seiner Ausführung wesentlich weniger rough und untergrundig als viele aktuelle Projekte vom Rest der Gang. Was Benny hier macht, ist wesentlich besser produziert und hat weniger Kante, dafür aber einen stärkeren Fokus auf Hooks und einen klassischeren Sound. Und wo ich es prinzipiell begrüße, dass es hier mal eine LP gibt, die ein wenig mit dem Modus Operandi von Griselda bricht, ist der Weg, den Burden of Proof damit geht, doch nicht unbedingt besser. Denn wenn die Stilistik des Labels bisher auch sehr einförmig war, war sie doch auf eine gewisse Weise individuell und unverwechselbar. Das hier hingegen klingt ein bisschen so, als würde sich Benny the Butcher an den Sound anderer Rap-Strömungen anbiedern, namentlich Leute wie Jay-Z, Freddie Gibbs, Joey Bada$$ oder Nas. Das sind ohne Frage alles gute Rapper, aber eben auch ein wenig etabliert und gewöhnlich. Und was Griselda in ihren besten Momenten so besonders macht, ist dass sie sich eben nicht dieser abgehangenen Ästhetik hingeben, sondern ihre eigene haben und das selbst dann, wenn sie regelmäßig mit klassischen Acts wie Hit-Boy oder the Alchemist zusammenarbeiten. Burden of Proof gibt mir zum ersten Mal das Gefühl, dass dem nicht so ist. Klar war gerade Benny schon immer derjenige im magischen Dreieck, der es ein bisschen softer mochte und auch mal einen dick aufgetragenen Biggie-Beat mitmachte, trotzdem ist das hier ein anderes Level. Es sorgt nicht dafür, dass dieses Album hier langweilig oder mittelmäßig ist, es ist eben nur etwas, nun ja, gewöhnlich. Und wo Conway, Westside und Armani mich gerade fast monatlich mit neuen Platten vom Hocker hauen, ist das hier nach zwei Jahren schon ein bisschen dürftig. Oder zumindest bin ich für den Moment zu verwöhnt, um das hier als spezieller anzuerkennen als es ist.


Hat was von
Freddie Gibbs & the Alchemist
Alfredo

Jay-Z
American Gangster

Persönliche Höhepunkte
One Way Flight | Famous

Nicht mein Fall
Where Would I Go | Over the Limit

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