Montag, 9. November 2020

Wie es klemmt

Die Ärzte - Hell 

 
 
[ fad | albern | geschmacklos ]

Es ist durchaus bezeichnend, dass das neue Album der Ärzte ausgerechnet mit einem Trapbeat beginnt, dem einen symbolischen Stilmittel, das dieser Tage für alle konservativen Musikfans dieser Welt zum Inbegriff kommerzieller Leere und obszöner Kulturlosigkeit geworden ist. Es ist bezeichnend, nicht weil es ein cleverer Gag auf Seite der Band ist, genau mit diesem Move den angetäuschten Sellout zu vollziehen (für die hartgesottenen gibt es später auch noch Autotune), sondern weil genau dieser Move so unglaublich kalkuliert ist. Mal ganz ehrlich: Es braucht nicht wirklich viel, um diesen offensichtlichen Gag zu durchschauen. Selbst der hängengebliebenste Rock-am-Ring-Horst, der in seinem Fanforum regelmäßig argumentiert, wie Ärzte und Hosen doch tausendmal kultivierter wären als heutzutage diese Einssechssieben Gossenbande oder wie die heißen, wird checken, dass die Ärzte 2020 nicht ernsthaft ein Traprap-Album machen. Allerdings hätte ich mir an manchen Stellen gewünscht es wäre so. Denn dann wäre ein Projekt wie Hell wenigstens konsequent subversiv, würde mal eine Reaktion hervorrufen und in der Tradition der trolligen, unberechenbaren Attitüde stehen, die diese Band tatsächlich lange sehr gut gemacht hat. Doch was dieses neue Album letztendlich ist, ist viel eher die Definition von Ahnbarkeit, Stillstand und humoristischer Eiseskälte. Vor allem ist es aber definitiv nicht gut. Und das sage ich als jemand, der von vornherein keine großen Erwartungen hieran hatte. Doch zäumen wir das Pferd mal von hinten auf: Was hätte es denn gebraucht, um diese LP besser zu machen? Wäre das überhaupt gegangen? Die Antwort darauf ist für mich persönlich ein bisschen Hätte-Wäre-Wenn. Wobei ich am Anfang feststellen muss: Das Problem der Ärzte ist in meinen Augen keinesfalls, dass sie schlecht gealtert wären. Im Gegenteil. Mit jedem Schritt, den sich die Berliner mehr auf den Status der vielleicht klassischsten Deutschrock-Band überhaupt zu bewegen, werden nicht nur ihre alten Sachen besser (siehe die erneute Chartplatzierung von Schrei nach Liebe vor wenigen Jahren), auch das wenige, was sie im 21. Jahrhundert bisher an neuer Musik machten, erlebte keinen Abwärtstrend. Platten wie Auch oder Jazz ist anders sind sicher keine Lieblingsalben von mir, aber ich mag sie durchaus und vor allem für eine Gruppe, die inzwischen über 30 Jahre auf dem Buckel hat, echt stabil. Betrachtet man Hell als direkten Nachfolger von Auch und denkt die acht Jahre Pause weg, ist der qualitative Absturz also ziemlich gewaltig. Und auch wenn ich lediglich darüber spekulieren kann, den Hauptgrund dafür sehe ich darin, dass dieses Album eigentlich zwei Dinge sein will. Zum einen ist sie die im Frühjahr festlich versprochene Quarantäne-Platte, die im wesentlichen aus Songs besteht, die während des letzten Jahres entstanden sind, zum anderen eben auch das erste Album der Ärzte seit fast einer ganzen Dekade. Und das ist leider unvereinbar. Denn wenn jemand einen Ruf zu verlieren hat, dann definitiv sie. Hell will das große Sensationsalbum auf 18 Tracks in 60 Minuten sein, mit dem sich die beste Band der Welt aus dem Winterschlaf zurückmeldet und aufwändig produziert und ausgestaltet ist es ebenfalls. Nur wirken die Songs dahinter trotzdem oft wie kompositorische Schnellschüsse. So gut wie keiner davon überzeugt thematisch, die Reime sind oft grausig (bei dieser Gruppe nichts neues, aber trotzdem furchtbar) und oft hat das ganze einfach nicht die rotzige Energie, die man sich von diesen drei Musikern wünschen würde. Dass einige Songs wie Woodburger oder Einmal ein Bier ziemlich albern und pubertär sind, würde dabei ja noch klar gehen, wenn die Ärzte nicht gleichzeitig total peinlich-boomerig wären. Ihr Ansatz an gesellschaftliche Satire wie in Fexxo Cigol oder True Romance, ist auf einem schlimmeren Niveau als ein kalauernder Oliver Welke und eigentlich war gerade dieser Bereich lange ein Gebiet, wo die Ärzte im lange ihrer Zeit voraus waren. Wenn es auf diesem Album gut geht, interessiert das Thema einfach niemanden besonders. Wenn es schlecht läuft, wie beispielsweise in Woodburger, vergreifen sie sich gewaltig im Ton. In gewisser Weise erinnert mich dieses Album sehr an den ähnlichen Totalausfall, den Helge Schneider diesen Sommer hatte und bei dem ein als ähnlich stilsicher geltender Künstler plötzlich kein bisschen mehr zum Lachen war. Dass Corona damit zu tun hat, ist eine Option, nur sehe ich da noch nicht die Verbindung. Und wenn man mich fragt, wäre dieses Album auch ohne Pandemie nicht besser geworden, selbst wenn diese Songs noch ein paar Jahre gehabt hätten.



Hat was von
Jennifer Rostock
Der Film

Y-Titty
Stricksocken Swagger

Persönliche Höhepunkte
Plan B | Alle auf Brille

Nicht mein Fall
Achtung: Bielefeld | Warum spricht niemand über Gitarristen | Morgens Pauken | Clown aus dem Hospiz | True Romance | Fexxo Cigol | Leben vor dem Tod | Woodburger

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