Dienstag, 10. November 2020

Pretty Hate Machine

 Ghostemane - ANTI-ICON

 
 
[ finster | edgy | gruselig ]

Dass Trap Metal eine Sache ist, die irgendwann existieren musste, war eigentlich schon in dem Moment klar, als Trap zu einer Musik wurde, die vordergründig von traurigen Teenagern mit alternativ-szenigen Edgyness-Komplexen gehört wird. Es war ganz einfach die naheliegendste Fusion, eine Art von sehr aggressiver, lauter und Groove-zentrierter Popmusik mit einer anderen zu verbinden und eine Geschichte, die ähnlich gut schon mal mit New Metal in den Neunzigern funktioniert hatte. Dass viele aktuelle Rap-Protagonist*innen zu der Jugend gehörten, die mit Bands wie Linkin Park, Limp Bizkit und Marylin Manson groß geworden waren, half da natürlich zusätzlich. Und in dem Moment, als die Bewegung vor vier Jahren ihre ersten Schritte in den Mainstream machte, war das Ergebnis ebenso großartig, wie ich es mir in meiner Fantasie erträumt hatte. Frühe Acts wie ZillaKami, SosMula, Keith Ape oder Scarlxrd waren allesamt komplett abgefahren und genossen es, die Charakteristika beider Sounds ebenso maßlos zu überspielen wie ihre visuelle Ästhetik, was sie definitiv noch besser machte. Der bis heute bekannteste dieser Künstler*innen dürfte rückblickend aber mit Abstand Ghostemane gewesen sein, der es als einziger schaffte, aus dem kurzlebigen und nischigen Hype von damals eine anständige Karriere zu basteln. Seitdem er 2016 von klassischem Memphis Rap auf sein Amalgam aus Metalcore, Industrial, Traprap und Horrorcore umsattelte, hat er nicht nur fünf Longplayer veröffentlicht, sondern ist gewissermaßen auch zur Hausmarke in diesem Bereich geworden. Dabei ist er in meinen Augen durchaus jemand, der seinen Erfolg redlich verdient. Von den Ausschnitten seines Outputs, die ich bisher verfolgt habe, gefiel mir vieles sehr gut und auch Anti-Icon, mein erster umfassender Einblick in sein Schaffen, überzeugt mich sehr. Vor allem, weil dieser Typ wesentlich mehr ist als nur Schocker und Fusionierer. Was er auf diesem Album tut, muss sich in meinen Augen nicht hinter den besten Sachen von Marylin Manson, den Nine Inch Nails oder Clipping verstecken, was im wesentlichen aber auch daran liegt, dass er immens von diesen Acts beeinflusst wird. Ähnlich wie ein ZillaKami oder Scarlxrd ist es dabei schwer bis unmöglich, ihn als tatsächlichen Rapper zu verstehen, denn was er vokalistisch tut, ist fast immer stark verzerrt und mit anderen Spuren zugehackt. Dafür ist Ghostemane aber ein umso besserer Musiker, der es wirklich versteht, Aggression und Spannung in seinen Songs zu erzeugen. Kompositorisch sind dabei alle Mittel recht, solange das Ergebnis irgendwie creepy, entmenschlicht und/oder grotesk klingt. Dabei gelingt es ihm aber durchweg, keine obskuren, experimentellen Kunstobjekte zu schaffen, sondern echte Hits, die eben etwas dämonisch sind. Und womit Anti-Icon nochmal ganz besonders glänzt, ist die exzellente Postproduktion, die dem ganzen hier die Kirsche aufsetzt. Wie ein guter Horrorfilm glänzt diese durch starke Laut-Leise-Dynamiken, filigrane Stereophonie und hin und wieder mal durch einen gut gemachten Jumpscare. Geschickt werden dabei auch Elemente wie die ASMR-Vocals in Anti-Social Masochist Rage oder die gezielte Übersteuerung der Spuren in Melancholic eingefädelt, die das hier an so vielen Stellen zu mehr machen als nur zu einem gut produzierten Album. Und wenn solche Dinge dann noch zu ohnehin schon tollen Songs hinzukommen, kann man ohne Übertreibung davon sprechen, dass Ghostemane hier etwas besonderes geleistet hat. Es ist vielleicht nicht die tiefsinnigste oder künstlerischste Platte der Welt, aber sie ist gut darin, eine Stimmung aufzubauen und Momente zu kreieren. Und das soll diesem Typen erstmal jemand nachmachen.


Hat was von
Marylin Manson
Antichrist Superstar

$uicideboy$
Stop Staring at the Shadows

Persönliche Höhepunkte
Vagabond | Lazaretto | Sacrilege | AI | Hydrochloride | Hellrap | Anti-Social Masochist Rage [ASMR] | Melancholic | Calamity

Nicht mein Fall
-

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