Montag, 16. November 2020

Black Lives, Black Metal

Zeal and Ardor - Wake of a Nation 


[ politisch | aktivistisch | hymnisch ]

Mit dem erneuten Aufflammen der internationalen Black Lives Matter-Bewegung in diesem Sommer war 2020 rückblickend auch musikalisch ein Jahr, in dem viel Klartext gesprochen wurde. Run the Jewels, Beyoncé, Lil Baby: Viele übten und üben sich diese Saison im künstlerischen Aktivismus und ganz unabhängig davon, wie gut ein Song oder ein Album dabei letztendlich ist, ist es symbolisch viel Wert. Wobei es in meinen Augen auch dazugehört, dass es weiterhin vor allem R'n'B und Hiphop sind, die in diesem Kampf die klanglichen Leitmotive darstellen. Dass sich die Künstler*innen, die junge POCs (und deren solidarische Mitstreiter*innen) sowieso hören, hinter ihre Sache stellen, ist inspirierend und wichtig. Was jedoch nicht heißt, dass eine Metalband nicht ebenso gut dazu fähig ist, einen Beitrag zu diesem Thema zu leisten. Vor allem eine mit dem Profil von Zeal & Ardor, die ja schon lange in diesem musikalischen und inhaltlichen Kontext unterwegs ist. Auf ihren ersten beiden Alben the Devil is Fine und Stranger Fruit wurden sie zwar vordergründig dadurch bekannt, dass sie die Traditionen von Black Metal mit denen von Soul und Gospel stilistisch vermengten, schon dort lohnte es sich aber auch, auf die Geschichten im Hintergrund zu achten. Die musikalisch sehr düstere Herangehensweise an Gospel- und Worksong-Ideen provozierte sogar fast die naheliegende Beschäftigung mit den Themen Sklaverei, Verfolgung, strukturellem Rassismus und Unterdrückung, besonders in den US-amerikanischen Südstaaten. Wo die zurückliegenden Platten dabei aber eher in die Vergangenheit blickten, ist Wake of A Nation erstmals ein sehr gegenwärtiges Werk, dessen Schauplätze ganz klar die Ereignisse von 2020 sind. Die lyrischen Bezüge zu den Morden an George Floyd und diversen anderen könnten eindeutiger nicht sein, der Song Tuskegee steht in Zusammenhang mit einer gleichnamigen rassistischen Studie der US-Regierung und auch das Kreuz aus Gummiknüppeln auf dem Cover ist ebenfalls leicht interpretierbar. Stimmungsmäßig ist das Ergebnis dabei eine Mischung aus Klagelied und aktivistischer Botschaft, die sich auch musikalisch unterschiedlich ausdrückt. Der Opener Vigil ist eine dick aufgetragene Soulballade, die an Bands wie Algiers erinnert und die EP mit einem starken Moment von Trauer und Enttäuschung eröffnet. Andere Tracks wie Tuskegee oder Trust No One, die eher auf einen metalligeren Sound abzielen, zeichnen eher ein sehr grausames Bild menschlichen Hasses und sind mitunter ziemlich gruselig. Auf At the Seams und dem Titelsong fällt mir außerdem auf, dass Zeal & Ardor verstärkt deutschsprachige Texte einbeziehen, die dem ganzen Teilweise einen Anstrich von Theatermusik verpassen. Wobei letzterer als Closer dann auch endgültig der Moment ist, wo Trauer in Wut umschlägt und ein klarer Anspruch an eine Umverteilung der Machtverhältnisse geäußert wird. Es ist erstaunlich, wie die Band es hier in gerade Mal sechs Songs schafft (faktisch fünf, die 78 Sekunden von I Can't Breathe sind eher Bonus), ein so umfassendes Wechselbad von Emotionen aufzubauen. Und es mag auch an der besseren Zugänglichkeit liegen, die durch die Black Metal-Einflüsse für mich persönlich besteht, aber rein konzeptuell finde ich das hier größer als so manches Rap-Epos zu ebendiesem Thema. In den gerade Mal 17 Minuten von Wake of A Nation liegt so viel Energie, so viel geballte Empfindung und ein künstlerischer Ansatz an das Konzept Black Lives Matter und dessen Andockpunkte, der mich nicht nur der Thematik wegen mitnimmt, sondern auch, weil es musikalisch genial aufbereitet ist. Und spätestens jetzt wird mir auch klar, was die Welt an einer Band wie Zeal & Ardor hat. Denn kein anderer Act hätte aus dieser einzigartigen Perspektive heraus so ein Projekt gemacht.

#BlackLivesMatter

Hat was von
Algiers
There is No Year

Code Orange
Underneath

Persönliche Höhepunkte
Vigil | Tuskegee | At the Seams | Wake Of A Nation

Nicht mein Fall
-

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