Montag, 30. November 2020

Kraut gewachsen

Urlaub in Polen - All 

[ krautig | rhythmisch | frickelig ]

Als ich im Winter 2012 das erste Mal anfing, über Musik zu schreiben, war die deutschsprachige Indiewelt gerade noch sehr traurig darüber, dass sich eine Band namens Urlaub in Polen aufgelöst hatte. Ich merkte mir das damals, weil Urlaub in Polen ein witziger Name war. Was für Musik dieses Projekt eigentlich machte, wusste ich aber nicht und befand es nicht für nötig, mich damit auseinenderzusetzen. Schließlich hatten sie sich sowieso gerade aufgelöst und in den acht Jahren, die auf die kurze Trauerphase folgte, hörte ich kaum ein einziges Mal noch ihren Namen. Es schien so, als hätte die Welt diese Gruppe vergessen. So sehr, dass wenn man die Gruppe und den Titel ihres neuen Albums googelt, nur noch auf diverse Seiten von Reisebüros verwiesen wird. Man sollte dabei meinen, dass das Comeback einer Gruppe, deren Abschied aus der Szene so lamentiert wurde, zumindest die alten Indieheads wieder auf den Plan ruft. Doch irgendwie scheint es wenige wirklich zu tangieren. Was mich ein wenig stutzig macht, denn uninteressant ist es definitiv nicht. Nach allem, was ich über die Urlaub in Polen von vor der Trennung weiß, waren sie eine Indietronic-Formation, deren Musik irgendwo in näherer Verwandschaft zu the Robocop Kraus und Ja, Panik zu verorten ist. Was All zu einem gehörigen Stilbruch macht, denn auf diesen zehn Songs tendieren die beiden Kölner vorwiegend in Richtung von psychedelischem Kraut- und Frickelrock der Marke Beak>, Neu! und Odd Couple. Die Schlagzeugarbeit von Jan Philipp Janzen hat sich seit der Reunion ein großes Stück bei der Technik von Jaki Liebezeit abgeschnitten, das Songwriting in Tracks wie the Witcher, Impulse Response und T.H.D.T. wird von rhythmischen, repetetiven Gitarrengrooves dominiert und was hier an Electronica noch stattfindet, sind größtenteils oszillierende Experimente mit analogem Equipment, die an die Silver Apples oder Amon Düül II erinnern. Das Hauptfeld dominiert eine Handvoll von fünf- bis siebenminütigen Stücken, die meistens instrumental und sehr rockig sind, zwischendurch werden diese immer wieder von kurzen Vignetten abgelöst, die eher dekonstuiert und spacig daherkommen. Die coolsten Stellen sind dabei in meinen Augen jene, in denen sich das Duo wirklich in einen Groove einpendelt und über längere Zeit an einem Konzept festhält. Logischerweise ist das hier eher in den längeren Stücken der Fall, sprich etwa die Hälfte der kompletten 38 Minuten Spielzeit. Die Interludes und Zwischenphasen sind zwar mitunter auch nicht schlecht, schaffen es aber nicht wirklich, viel zur Gesamtstimmung beizutragen und führen den Flow der Platte auch immer wieder auf Abwege, die nicht ganz so spannend sind. Das ist insofern authenthisch, als dass auch viele der ganz frühen Krautrock-Impulsgeber dieses Problem hatten, es hindert All aber oft daran, interessanter zu sein. Nimmt man dazu, dass Georg Brenner nicht wirklich der beste Sänger ist und viele der guten Momente doch etwas zu kurz geraten, ist das hier noch immer eine gute LP, allerdings nichts, was ich nicht schon woanders besser gehört habe. Ich finde es cool, dass Urlaub in Polen sich solchen Sounds widmen und anscheinend auch den nötigen Forschergeist haben, um wirklich experimentell zu sein. Noch dazu ist die Produktion in den meisten Momenten erste Sahne. Gänzlich überzeugt bin ich vom Ergebnis dennoch nicht, weil einfach noch zu viel unnötiges nebenbei passiert. Mit ein bisschen mehr Fokus im Songwriting, Mut zu längeren Tracks und weniger Schnickschnack zwischendurch könnte das aber schon ganz anders aussehen. Wer weiß, vielleicht gelingt es ja der zweiten Inkarnation von Urlaub in Polen, mich nochmal richtig abzuholen. Das Zeug dazu ist auf jeden Fall da.


Hat was von
Silver Apples
Sliver Apples

Beak>
>>>
 
Persönliche Höhepunkte
Impulse Response | T.H.D.T. | the Witcher | the Hunter | Lts | Proxy Music
 
Nicht mein Fall
Rodeo
 

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