Samstag, 24. Oktober 2015

Weltschmerz für Fortgeschrittene

PROTOMARTYR
the Agent Intellect

Sub Pop
2015
















Immer dann, wenn einem der prätentiöse Postpunk-Vintage der letzten Jahre auf den Nerv geht, sollte man Protomartyr hören. Die vierköpfige Band aus Detroit spielt zwar eine sehr ähnliche Form dieses Stils, doch ist dieser im wesentlichen besser temperiert. Nicht zu abründig, nicht zu krachig, nicht zu poppig, nicht zu langatmig, nicht zu retro. Und The Agent Intellect ist für diese Spielart vielleicht die bisher beste Werkschau. Schon der Opener the Devil in His Youth ist genau die Form eines merkwürdigen Hits, die diese Amerikaner seit ein paar Jahren sehr erfolgreich kultivieren und vielleicht ihr bester Song bis dato. Das hibbelige Gitarrenriff steht im Kontrast zu Joe Caseys verkracht-sonoren Vocals und eröffnet den zweiten Longplayer von Protomartyr perfekt. Und auch alles, was danach kommt, kann sich durchaus an diesem tollen Einstieg messen. Clandestine Time ist die obligatorische Weltschmerz-Ballade, Cowards Starve erinnert an the Clash, aber nicht zu sehr, in I Forgive You tut Casey so, als käme er aus Birmingham. Eine Tradition und diverse Lektionen bei den Schulmeistern des Genres sind also erkennbar. Eine Postpunk-Gruppe, die nicht nach Joy Division klingt, wäre ja auch ein Unding. Doch nur in den seltensten Fällen klingt the Agent Intellect tatsächlich so nachgemacht wie viele andere Bands. Das liegt zum einen an ihrem Sänger, der eher wie der einer unschuldigen Topshelf-Skater-Indieband agiert, zum anderen daran, dass Protomartyr auch die musikalischen Gewächse ihrer eigenen Heimat sind. Wer in den Songs genau hinhört, kann Einflüsse der Michiganer Hardcore-Szene heraushören. Und damit distanziert sich das Quartett musikalisch schon mal ein Stück von den vielen, vielen Trittbrettfahrern der neuen Postpunk-Bewegung. Das ist nicht revolutionär, aber immerhin erfrischend. Und daran gemessen, dass sich die Platte in ihrer Art und Weise nie verzettelt, sind Protomartyr ein echt heißer Tipp, was dieses Genre angeht. Das war schon auf ihrem Debüt so, doch mit the Agent Intellect quadriert sich das alles noch einmal. Ganz einfach, weil sich die Band hier in Sachen Struktur und Komposition noch ein Stück versierter zeigt. Auch wenn ich mir für die Zukunft wünschen würde, dass sie sich noch ein bisschen weiter aus dem stilistischen Korsett der Postpunk-Kultur befreien. Sie sind eine der wenigen Formationen, denen ich nach dieser Performance hier wirklich größeres zutraue. Und mit the Devil in His Youth haben sie immerhin schon mal einen großartigen Hit als Faustpfand. Bei denen geht definitiv noch was.
9/11

Beste Songs: the Devil in His Youth / Boyce or Boice / Clandestine Time

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Viet Cong (Viet Cong):
zum Review

Review zu the World is Not Enough (Marching Church):
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