Sonntag, 18. Oktober 2015

Oktober in Indigo

RAURY
All We Need

Love Renaissance
2015
















Die Sache mit dem philosophisch beflissenen US-HipHop läuft ja gerade ganz gut. Erst kam Anfang des Monats die bisher beste LP von Milo, dann der Ritterschlag der Underachievers und mit Album Nummer zwei von Raury, dem Bob Dylan des Conscious Rap, ist es jetzt offiziell: Urban Beats und Spiritismus sind alles andere als unversöhnlich. Und wo sich diese Einstellung vor ein paar Jahren noch auf Kosten der Credibility auswirkte, scheinen gerade jetzt die Platten rauszukommen, die zeigen, dass das nicht so sein muss. Die Indigoism-Bewegung (das betrachte ich jetzt mal als journalistische Wortschöpfung) befindet sich im Herbst 2015 auf ihrem bisherigen kreativen Höhepunkt. Und da schadet es auch nicht, dass Raury mit All We Need ein weiteres sehr abenteuerliches Album macht, das sich textlich wie klanglich in viele Richtungen bewegt und dabei die Regeln des Genres lediglich als grobe Richtlinien sieht. Es ist erstaunlich, wie oft der Mann aus Stone Mountain, Georgia auf diesem Album singt, den Beat weglässt und Dinge wie Akustikgitarren einarbeitet. Gerade Songs wie Devil's Whisper oder Revolution klingen eher wie Folk-Nummern als nach Rap. Dass Raury ein bisschen aussieht wie Andre 3000 ist also kein Zufall. Ebensowenig wie das Feature von Rage Against the Machine-Gitarrist Tom Morello oder die drei kleinen Symbole, die sich links unten auf dem Cover finden: Ein bisschen aktivistischer Hippie-Spirit umweht hier alle 14 Songs. Und warum auch nicht, sie stellen hier in fast jedem Fall eine Bereicherung des üblichen Rezeptes dar. Selbst dann, wenn sie manchmal ein bisschen klingen wie die letzte putzige Indie-Folk-Single von Hozier. Was dabei aber leider ein wenig zu kurz kommt, sind die eigentlichen Rap-Parts, die ja eigentlich Raurys Hauptgeschäft sind. Bei einem Album voller Interludes, Lagerfeuer-Stimmung und Joan-Baez-Hooks bleibt am Ende wenig Platz für die Gedanken des MCs selbst. Das ist schade, denn dort wo sie sich einmal voll entfalten können, beeindrucken sie mich tief. Love und Peace werden hier endlich mal wieder zu einem Thema, das nicht nur nostalgisch verklärt debattiert wird und das ernsthafte Denkanstöße gibt, Stichwort Mike Brown. Kitschig wird es deshalb nur dann, wenn Raury versucht, einen Lovesong zu schreiben. An Geschichten wie Love is Not A Four Letter Word oder Her sollte er deshalb noch arbeiten. Davon abgesehen finde ich All We Need aber vor allem deshalb gut, weil es die Fähigkeit hat, mich mit jedem Track aufs neue zu überraschen. Und das tun die wenigsten HipHop-Platten so gut wie dieses. Die Frage ist am Ende nur, ob man das hier überhaupt noch als reines HipHop-Release sehen soll. Denn eigentlich kann es so viel mehr als das. Im Moment ist Raury damit noch am Anfand, doch wenn er weiter so macht, könnte er ein echter Hoffnungsträger des Indigoism werden. Zumindest so lange, wie diese Art von Rap noch cool ist.
9/11

Beste Songs: Forbidden Knowledge / Woodcrest Manor II / Devil's Whisper / Trap Tears

Nicht mein Fall: Revolution

Weiterlesen:
Review zu So the Flies Don't Come (Milo):
zum Review

Review zu 2014 Forest Hills Drive (J. Cole):
zum Review

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