Samstag, 22. Juli 2017

Stützräder ab

Hätte man mich vor ein paar Jahren gefragt, ob ich mich schon auf das neue Tape von Dexy freue, hätte ich wahrscheinlich einen mittelgroßen Rant darüber angefangen, wie überbewertet ich diesen Typen doch finde. Da wurde jemand als neuer Shit des Deutschrap gefeiert, weil er sich einigermaßen vernünftig mit klangvollen Jazz-Samples auskennt und deshalb selber sagt, dass ihm die Texte dazu mehr oder weniger egal seien, weil ja der "Vibe" stimmt. Als 2013 seine erste richtige Soloplatte Palmen & Freunde erschien, war ich deshalb ziemlich sauer auf den Heilbronner und verteufelte danach lange alles, was er anrührte. Ob seine Kollaboration mit Fatoni auf Yo, Picasso, seine Produktionsjobs für Cro oder seine unzähligen Beattapes, nichts mochte ich so richtig. Und eigentlich ist das auch noch immer so, zumindest was die frühen Sachen angeht. Seit einiger Zeit jedoch bin ich mit jedem Mal, bei dem ich neues Material von Dexter höre, ein bisschen mehr davon überzeugt, dass der Junge doch was kann. Das liegt sicherlich auch daran, dass in der Zwischenzeit Cloudrap passiert ist und mittlerweile auch in den deutschen HipHop eine neue Ästhetik eingezogen ist, doch es liegt definitiv auch daran, dass der Künstler selbst besser geworden ist. Vor allem als Rapper hat er sich zuletzt mächtig aufgewertet. Ob im riesigen New-School-Posse Cut I Bims das von 2016 oder auf dem neuen Mixtape von Fatoni, Dexter war fast immer ein echtes Highlight dieser Tracks. Und als dann auch noch die ersten Singles von Haare Nice, Socken Fly ziemlich cool waren, war ich definitiv ziemlich interessiert an ihm. Ganz zu schweigen davon, dass ich auch ausdrücklich darum gebeten wurde, über diese LP zu schreiben. Dass ich es jetzt mache, ist eine gute Sache, denn was man hier erlebt, ist zu großen Teilen nicht weniger als die komplette Neudefinition der Marke Dexy, wie wir sie bisher kennen. Wo man vorher einen talentierten Boom-Bap-Beatmaster erlebte, der nebenbei ein bisschen für sich selbst rappte, existiert hier auf einmal ein zur Perfektion ausgefeilter lyrischer Charakter, den man der gesamten deutschen Sprechgesangs-Landschaft schon als ziemlich einzigartig beschreiben kann. Irgendwo zwischen dem Chill-Faktor der G-Funk-Generation, dem Swag des New School-Trap und einer völlig abgespaceten, organischen Kunstsprache schafft er hier eine sprachliche Ästhetik, die perfekt zu dem passt, was er musikalisch vor hat. Der doch sehr jazzige Sound der letzten LP geht hier in eine wesentlich elektronischere Richtung, die man vielleicht auf seinem Mixtape Raw Random Files bereits erahnen konnte. Und das ist mindestens genauso clever wie die Sache mit den Texten. Mit dem neuen Sound entziehen sich die Tracks nicht nur der leider noch immer genötigten (und sehr lästigen) Entscheidung zwischen Boom Bap und und Trap, sondern mischen außerdem einen sehr modernen Vibe mit der Gemütlichkeit, die man eben nur bei gesampletem Material hat. Dass die meisten Stücke dabei eher experimentell ausfallen, ist da nur konsequent. Hits braucht Dexy mit dieser Herangehensweise eigentlich nicht mehr. Ich finde sogar, dass er hier inzwischen so ein bisschen sich selbst genügt und garnicht mehr darauf angewiesen ist, haufenweise Künstler zu featuren. Viele der Gastauftritte, von denen es in so gut wie jedem Song einen gibt, wirken dann auch irgendwie deplatziert, sind mitunter ein bisschen awkward und tragen in den meisten Fällen nichts zum Gesamtergebnis bei. Wo man den Parts von Retrogott in Am Flughafen und Maniac in Nüsse noch einen Aha-Faktor zusprechen muss, sind die von Ahzumjot, Fatoni oder Jaq eher ziemlich unspektakulär und was LGoony mit Palmenblätter anrichtet, ist sogar eine ziemliche Katastrophe. Außerdem unterbrechen sie die schöne Leitlinie, die Dexy in seinen eigenen Strophen aufbaut. Somit ist Haare Nice, Socken Fly am Ende doch ein ziemlich fehlerbehaftetes Projekt, das zwar mit einer guten Idee startet, diese dann aber konsequent selbst ruiniert. Und obwohl das extrem schade ist, sehe ich diese LP trotzdem vor allem positiv. Immerhin hätte ich bis vor kurzem nicht im Traum gedacht, dass Dexter mal so einen eigenständigen und perfektionierten Stil aufbaut, der sogar so gut ist, dass seine Fähigkeit als Teamplayer darunter leidet. Wenn er in Zukunft hier weitermacht, könnte er eine der wenigen echt originellen Figuren in der deutschsprachigen HipHop-Landschaft werden. Und das hätte bis jetzt nun wirklich keiner geahnt.





Persönliche Highlights: Dexy, wo bist du? / Keinen Tag tauschen / Am Flughafen / 20 in den Whip (Fahrtwind Pt. 2) / Vino / Wind weht durch das Haar

Nicht mein Fall: Nüsse / Palmblätter

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